U F O s - unbekannte Frauen ohne Stand.
"Ja, ja, so ist das mit dem Nachwuchs! Immer irgendwas anderes - heute
Elternsprechtag, nächste Woche der Ausflug - die Kinder halten einen ganz
schön in Atem, wohl?" Die rundliche, kleine Frau sah bei dieser
Feststellung ihre Gesprächspartnerin treuherzig an. Sie hatte ihren Satz
mit einem Fragewort beschlossen, so bekam sie auch Antwort. "Tut mir leid,
Frau.. ach, wie war doch gleich Ihr Name? - richtig, Frau Eberle, also - ich
habe keine Kinder, ich kann da nicht mitreden." "Was Sie nicht sagen! Sind Sie
nicht die Schwägerin von Bernd Anders?" "Doch, Bernd Anders ist der Mann
meiner Schwester Beate, aber ich habe trotzdem keine Kinder," sagte die neue
Besucherin des Gemeinde-Familienkreises amüsiert.
Der kleinen Frau Eberle war etwas unwohl zumute. Ihre Augen suchten an dem
Blick der anderen vorbei nach dem berühmten Strohhalm, an dem sie sich
forthangeln konnte. " O, Augenblick, ich müßte eben einmal die
Gertrude was fragen, wegen der Feier der Schulklasse - unsre Kinder, Sie
verstehen, äh.. ich..."
Sie trippelte auf die andere Seite des Gemeindesaales und gestikulierte bereits
in Richtung der erwähnten Gertrude. Die höfliche Antwort der Fremden
- "aber bitte, nichts zu entschuldigen..", bekam sie schon nicht mehr mit.
Die jugendlich schlanke Frau faßte ihre Handtasche fester, nahm mit
spitzen Fingern ein Stäubchen von ihrem eleganten Kostüm und schaute
sich langsam nach allen Seiten um. Dort am Fenster stand ihre Schwester Beate
mit zwei Damen, die vielleicht Ende zwanzig waren. Sie lachten und machten
Handbewegungen, als hätte es gerade mehrere Klapse auf einen Kinderpopo
gegeben. Ihr Schwager Bernd sprach leise und intensiv mit dem Leiter des
Gemeindekreises - wahrscheinlich ging es um die nächste
Mitarbeitersitzung. Hinter sich hörte sie die laute Stimme von Oma
Schmitz. Sie ließ sich lang und breit über die Unarten ihrer Enkel
aus, die sie wöchentlich einmal zu hüten hatte.
Ein Ehepaar saß noch am Tisch und wartete auf Frau Mehrwein, mit deren
Auto sie gemeinsam nach Hause
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fahren wollten. Das konnte die neue Besucherin, Frau Lange natürlich nicht
wissen. Sie sah nur zwei still dasitzende Menschen und dachte: "Vielleicht
ergibt sich hier ein nettes Gespräch und eine Gelegenheit, sich näher
kennenzulernen". Sie ging die paar Schritte zum Tisch und setzte sich den
beiden gegenüber. Sie lächelte zu ihnen hin und sagte: "Es war eine
gute Auslegung des Bibeltextes heute abend, nicht wahr?" Zwei erstaunte
Gesichter wandten sich ihr zu. Die Frau antwortete: "Ja, wirklich, wir freuen
uns jedesmal, wenn dieser Pfarrer uns den Dienst tut. Er findet selbst in den
bekanntesten Texten noch neue, interessante Sachen."
Frau Lange machte noch einen Anlauf. "Hat Ihnen meine Schwester erzählt,
daß ich im neuen Jahr hier in der Nähe wohnen werde und vielleicht
öfter hier in diesen Kreis kommen kann?"
"Ach, wie nett! Läßt Ihr Mann Sie denn so solo am Abend noch weg?"
Es sollte scherzhaft klingen, kam aber als kalter Schlag bei der Adressatin an.
Das Ehepaar wunderte sich etwas, daß Frau Lange schon wieder aufstand und
nur im Weggehen bemerkte: "Ich bin nicht verheiratet, ich brauche niemanden zu
fragen."
Einige Tage später klingelte in der Wohnung der alleinstehenden Frau Lange
das Telefon. Das heißt, eigentlich war es der Apparat ihres Schwagers,
denn sie selbst bewohnte im Haus ihrer Schwester ein kleines Zimmer, bis ihre
eigene Wohnung bezugsfertig war. Frau Lange hob den Hörer ab, da keiner
sonst zuhause war. "Spreche ich mit der Schwester von Beate Anders? Schön,
genau Sie wollte ich etwas fragen. Würde es Ihnen Freude machen, mit mir
und meinen beiden Töchtern morgen ins Kino zu gehen? Es läuft ein
hübscher Märchenfilm. Meinen Mann kann ich für so etwas nicht
begeistern, er hat auch keine Zeit. Da wäre ich recht froh, wenn noch
jemand auf meine Rangen mit aufpassen würde. Und wir könnten uns ein
wenig bekanntmachen, da Sie ja doch bald zu unserer Gemeinde gehören
werden, wie ich hörte."
Der Aufhänger für die Einladung erschien Frau Lange zwar ein
bißchen gezwungen, aber sie nahm dann doch an. Schließlich hatte
sie ja selbst gehofft, schnell und
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unkompliziert in dieser Stadt neue Freundschaften zu finden.
Am Ende des anstrengenden Nachmittags mit Frau Mehrwein und ihren Kindern lud
sie die Familie fürs nächste Wochenende zu sich ein. Ihrer Schwester
war es auch recht, denn - obwohl sich die beiden Ehepaare bereits aus
Jungschartagen kannten und all die Zeit aktiv in der Gemeinde
zusammengearbeitet hatten, war der private Kontakt eigentlich recht mager
geblieben.
Der Samstag verlief harmonisch. Frau Mehrwein und Beate Anders unterhielten
sich über damalige Schwangerschaftsprobleme, die beiden Männer hatten
sich die Unterlagen der verschiedenen Mitarbeitertreffen vorgenommen und
sprachen die Statistik der Gemeindekreise durch. Die Gastgeberin hörte
einmal hier zu, dann da - warf manchmal einen kurzen Satz dazwischen und
beschränkte sich im übrigen auf Kaffee-Einschenken und
Kuchenverteilen. Als sie von einem Toilettengang wieder ins Zimmer kam, stockte
das Gespräch der beiden anderen Frauen. Beate nahm ihre Schwester um die
Taille und sagte zu Frau Mehrwein:" Ja, ja, meine liebe Schwester hat die Nase
voll von Ehe und Familie. Sie hat heute noch die unglückliche Zeit ihres
bösen Irrtums nicht richtig überwunden. Aber wer weiß? Auf
jedes Töpfchen paßt ein Deckelchen!" Beate meinte es ehrlich, das
mußte man ihre zugute halten. Darum hielt sich das Objekt ihres Mitleids
auch mit Kommentaren zurück und fing an, den Tisch abzuräumen.
In den nächsten Wochen wurde Frau Lange noch einmal freundlich zu einer
Geburtstagsfeier bei Familie Mehrwein eingeladen. Nach dem Abendessen brachte
Herr Mehrwein sie mit seinem Wagen nach Hause, weil ihrer in der Werkstatt war.
Sie unterhielten sich vor Frau Langes Haustür noch ca. eine halbe Stunde
über Gebrauchtwagen im allgemeinen und besonderen. Danach hörte sie
eine Weile nichts mehr aus dieser Richtung. Wochen später traf sie Oma
Schmitz auf der Straße. "Na, wie gefällt es Ihnen in Ihrer neuen
Wohnung, Frau ..., ach, jetzt ist mir doch wieder der Name durchgerutscht.."
"Ist nicht so wichtig, Frau Schmitz! Die Wohnung ist gemütlich und ruhig.
Sie können
mich ja mal besuchen. Kaffee und Tee und noch mehr,
es ist alles da." "Ach, ich hab soviel um die Ohren!
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Waren Sie nicht öfters mit Frau Mehrwein zusammen? Oder hat die keine Zeit
mehr, sie zu betreuen?" War das nicht eine nette, teilnahmsvolle Frage? In der
sogenannten "Betreuten" fand sie jedenfalls kein angenehmes Echo. "Betreut"
wurde sie also! Wie ein behindertes Kind! Und sie hatte gehofft, gleichwertige
Freunde, ja Geschwister, gefunden zu haben, denen sie ebensoviel zu geben hatte
wie sie von ihnen empfangen konnte.
Der Kontakt zu dieser Gemeinde wurde trotz verwandtschaftlichem
Unverständnis merklich kühler. Es gab in etwas weiterer Entfernung ja
auch Möglichkeiten, Gemeinschaft zu pflegen. Dort waren sogar noch andere,
unverheiratete Frauen in den Gebetsstunden zu finden. Zwei favon standen noch
in der Ausbildung, eine bereitete sich auf ihre Hochzeit vor, und eine war
verwitwet und hatte drei halbwüchsige Kinder zu versorgen.
Die geschiedene, kinderlose Frau Lange nahm all ihre Kraft und Geduld zusammen,
ertrug gedankenlose oder auch bissige Anspielungen, und nahm an mehreren,
gemischten Veranstaltungen teil. Das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein,
kam nur nur selten in ihr hoch. Mit einer etwas gehbehinderten Dame und einem
jungverheirateten Ehepaar gründete sie sogar einen Gebets-Hauskreis. Dort
konnte sie tatsächlich auch über ihre Lage und ihren
Gemütszustand offen sprechen.
An einem Freitag, vor einem Wochenende, dessen lähmende Einsamkeit sie
schon im voraus niederdrückte, klingelte die alte Dame an Frau Langes
Tür. "Haben Sie eventuell Zeit und Lust, mich auf der
Jubiläumsveranstaltung des CVJM zu vertreten? Sie wissen ja, ich schreibe
seit Jahren Bildberichte für einige Gemeindeblätter und die hiesigen
Zeitungen über kirchliche Veranstaltungen. Aber diesmal wird es mir
zuviel, ich bin nicht so gut auf dem Posten."
Als Frau Lange am Montagmorgen wieder vor ihrem Schreibtisch in der
Mahnabteilung saß, drehten sich ihre Gedanken noch um den vergangenen
Samstag und was daraus folgen würde. Ihr fiel spontan der Psalmvers ein:
"Du stellst meine Füße auf weiten Raum." Sie lächelte und
begann, die Formulare zu sortieren.
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