Liebes, hast du eigentlich keinen vernünftigen Unterrock mehr? Neulich
auf dem Sommerfest, als du so im Gegenlicht standst, da konnte man durch den
dünnen Kleiderstoff auf der anderen Seite Zeitung lesen!
Also, wie kommst du jetzt auf Unterrock? Sowas trag ich doch schon seit
über
zwanzig Jahren nicht mehr! Das gelbe Kleid hat doch nen schönen weiten
Rock,
normal sieht man da garnichts durch.
Na, ich mein ja bloß. Früher wär das unmöglich gewesen.
Ja, früher! Da gingen die Röcke plus ein oder mehrere
Unterröcke auch bis zur
Schuhspitze - dafür war obenherum aber oft desto weniger Stoff.
Aber gediegen ist das schon, daß du davon anfängst. Mir ist
nämlich ausgerechnet
heute morgen ein Artikel in die Hände gekommen, der sich mit dem
dezenten
Darunter ausführlich beschäftigt.
Das wird wieder so'n Werbegag von irgendeiner Firma für Miederwaren
sein!
Was du immer denkst - nein hochwissenschaftlich, das heißt
völkerkundlich, steht
das hier geschrieben. Über Unterröcke und andere einstmals
unaussprechliche
Kleidungsstücke. Hör mal:
Unterröcke - eine Erfindung, die man einst für das
Äußerste an Weiblichkeit hielt.
Noch heute werden sie, genau wie vor mehr als hundert Jahren, oft dazu
benutzt,
die Bauschung des Rockes zu verstärken. In viktorianischer Zeit war es
ihre Auf-
gabe, den Eindruck zu erwecken, als endeten die Frauenbeine gerade oberhalb
der Knöchel.
Die Unterwäsche, die ursprünglich dazu diente, der Frau
körperlichen Schutz und
besonders Wärme zu schenken, wurde zum Werkzeug der Verführung des
Mannes
gemacht und spielte eine wichtige Rolle im Liebesspiel. So lugte der Petticoat
mit
seinem Spitzensaum diskret unter dem Rock hervor, während die
Schlüpfer in
bestimmten Modeperioden indiskret genug waren, tief unter dem Rock als
rüschige
Pantaletten zu erscheinen.
Du sagst, ich sollte einen Unterrock tragen, damit die Blicke nicht zu tief
gehen,
und hier steht, daß grade die Unterröcke die männliche
Fantasie beflügeln sollten!
Na, wenn ihr Damen es nicht anders haben wollt, und unbedingt von einer
Erkältung in die andere rutscht, weil ihr meint, die dünnen Fummel
auf der Haut hielten warm genug - frag mal die Ärzte, wieviel blasen- und
nierenkranke junge Dinger in ihrem Wartezimmern sitzen!
Wo du recht hast, hast du recht! Da waren die Frauen schon immer
leichtsinnig.
Wenn die Mode diktierte: ab heute hat jede Frau schlank zu sein wie eine
Tanne,
dann wurde auch an dem Darunter gespart und selbst im Winter nur dünne
Stoffe
getragen.
Aber meine Mutter hatte im Winter Baumwoll-Unterröcke an, schöne
feste, mit breiten Trägern - außen glatt und innen aufgerauht -
wegen dem Wärme-Effekt! Und dabei noch gestrickte Schlüpfer mit
Beinen bis fast zum Knie. Sie sah damit zwar nicht wie ein Glamour-girl aus,
aber gefroren hat sie nicht.
Und wenn deine Mutter fünfzig oder hundert Jahre früher gelebt
hätte, wär sie wohl
nur äußerst schwer an solche Art Unterzeug drangekommen. Ich hatte
doch grad
noch die Seite, wo das mit den Unterhosen stand - Moment, ich find das
wieder!
Unterröcke - Unterwäsche - aha, hier stehts: Also: Wir sind so an
Unterwäsche
gewöhnt, daß wir gar nicht mehr wissen, wie es zu der Erfindung
gekommen ist.
Als die Kleidung der Menschen noch hauptsächlich aus Fellen bestand,
suchte
er nach einem Stoff, der zwischen Haut und Leder viele Funktionen
erfüllen
mußte. Er durfte auf der Haut nicht scheuern, er mußte den
Körperschweiß
vom Oberkleid fernhalten und er mußte gut waschbar sein.
Und wo wurde so etwas erfunden? Natürlich nicht in den wärmeren
Gegenden der
Erde, sondern in den gemäßigten Zonen.
In Ägypten, in Griechenland und Rom wurden mehrere Kleidungsstücke
übereinan-
der getragen, aber sie bildeten eine Kleidereinheit und waren keine typischen
Unter-
kleider oder -röcke.
Kaiserin Elisabeth I. von England hinterließ ein Verzeichnis ihrer
Garderobe in
Schrift und auch in Bildern, und da sind Unterröcke in fast der gleichen
Form zu
sehen, wie sie auch heut noch in den Versandhaus-Katalogen angeboten
werden.
Da trug die feine Dame ja auch schon keine Reifröcke mehr - da mußte
sie die Spitzen und Schleifchen schon woanders dranhängen und ihren
Reichtum damit beweisen, daß die interessantesten Kleidungsstücke
aus reiner Seide waren.
Den Luxus gibt es heut aber auch noch. Die Unterröcke gehen zwar nicht
mehr bis
über die Fußknöchel, aber bei der alten Dame Ida muß es
bis zum heutigen Tag
eben reine Seide sein, so wie sie das in ihrem 97jährigen Frauenleben
seit
Kindertagen nie anders gekannt hat.
Das find ich vernünftig - die liebe Ida ist bestimmt nur deswegen so alt
geworden, weil sie
sich immer gut eingepackt hat! Ob die Schlüpfer geknöpft waren,
hinten offen oder unten
zu, das ist doch egal. Und das wird ja wohl auch immer so gewesen sein hier in
unseren Breitengraden.
Das denkst du! Hör dir das an: Die Frau folgte dem Beispiel des Mannes
und
übernahm fast alle seine Unterkleidung, einschließlich der
Unterhose. Erst um
1900 wurde sie als Frauenschlüpfer üblich. Die Männer
betrachteten diese weib-
liche Spielart als ein schockierend unanständiges Kleidungsstück und
als Bedro-
hung ihrer männlichen Vormacht. Aber die Frauen trugen weiter
Schlüpfer, bis es
in den zwanziger Jahren Mode wurde, möglichst wenig Unterwäsche zu
tragen, um
so schlank wie möglich auszusehen. Viele Frauen legten damals ihre
"Unaus-
sprechlichen" ab und ersetzten sie durch ein ziemlich lächerliches
Läppchen, das
unter dem leib hindurchführte und mit dem Hemd verbunden war, aber
gegen
Költe und Sicht nur unzureichenden Schutz gewährte.
Glücklicherweise werden
kurze oder lange Schlüpfer von feinfühligen Frauen immer um der
Wärme oder
des Anstandes willen getragen werden, und da die Kleider mehr und mehr
Herren-
anzügen ähneln, ist dieses Kleidungsstück offenbar dazu
bestimmt, seine ursprüng-
liche bedeutende Stellung beizubehalten.
Na, mit den Herrenanzügen - das ist ja auch schon wieder überholt.
Das haben die Damen schon gar nicht mehr nötig, um sich durchzusetzen. Da
werden wir Männer sicher eher bald Röcke anziehen müssen, um
noch gleichberechtigt zu sein!
Ganz so schlimm wirds hoffentlich nicht kommen! Aber Hosen an
Damenkörpern --
das ist wirklich noch gar nicht so lange möglich. Unter den
Reifröcken wurde meist
-gar nichts - getragen, nur alte Damen gestatteten sich wollene Hosen.
Mußten die
Mägde in den Herrenhäusern die hohen Fenster putzen und auf
wackligen Leitern
stehen, dann wurde ihnen erlaubt, Hosen anzuziehn unter ihren Röcken.
Wenn in
Holland Frauen in schwarzen Samthosen erschienen, wußte jeder genau:
aha, die
gehen Schlittschuh laufen. Casanova hat die Werbung um eine schöne Dame
lt.
seinen Memoire sofort abgebrochen, wenn sie unter ihren Röcken und
Unterröcken
lästigerweise grüne Samthosen trug.
Unterröcke dagegen waren stets unerläßlich. Einer oder besser
mehrere - in Süd-
deutschland nannte man den obersten, meist reichverzierten, Unterrock auch
"Appetit-Röckl", warum, kannst du dir ja denken!
Ja, für die Klamotten haben die Damen schon immer viel Geld ausgegeben.
Und die adligen Damen an den Höfen brachten bestimmt ihre eigenen
Schränke mit für all die Spitzenhöschen, Spitzenhemdchen und
Spitzen- sonst noch was!
Falsch daneben geraten mein Lieber! 600 seidene Kleider im Schrank, das war
keine Seltenheit. Aber Wäsche? Da kam die vornehme Frau Fürstin mit
zwei Stück
solange aus, bis der Stoff auseinanderfiel. Und wenn einer so dekadent war
wie
die Kaiserin Josephine, die Frau Napoleons, die täglich ihre Hemden
wechselte
und kein paar Strümpfe zweimal trug, dann litt die Staatskasse aber
schwer an
Auszehrung!
So alte Kamellen interessieren heute bestimmt niemand mehr. Unterröcke
sind out,
Schlüpfer sind aus leichter Baumwolle, Jeans und T-Shirt sind
salonfähig für beide Geschlechter - was sollen die Kinder denken,
wenn wir die ganze Zeit von so altmodischem Zeug reden.
Keine Panik. Frag ich doch direkt mal die zehnjährige Julia von
nebenan.