Single - weiblich.
Gestern traf ich meine Freundin Edith auf der Post. Nicht oben auf dem Postgebäude - wir standen am Paketschalter. Daß wir uns trafen, traf sich wiederum sehr gut. Ich fragte sie: "Wo warst du samstagabend? Ich habe -zigmal durchklingeln lassen, aber du hast nicht abgehoben!"
"Samstag? Ach ja, ich hatte mal wieder meinen Moralischen. Mir fiel die Decke auf den Kopf. Ich war ganz kribbelig von den trübsinnigen Gedanken, die mich dann immer anfliegen. Ich hab´ überlegt: Was machst du? KIno? Schaufensterbummel? Da hab ich kurzerhand mein neues Seidenkleid angezogen und bin tanzen gegangen. War ganz nett der Abend; nur das Nachhausekommen ist immer so fürchterlich. Die Wohnung ödet mich an, überall ist es kalt."
"Wärst du lieber zu uns gekommen! Bei uns war es warm und gemütlich. Wir saßen mit sieben Leuten auf einem Viersitzersofa, und es war keine Minute langweilig."
Meine Freundin kann so niedlich die Nase rümpfen, und weil sie sich dabei schüttelte, wußte ich, wie ernst es ihr war mit dem Abscheu vor solcher Art von Gemeinsamkeit. In einem stinknormalen Wohnzimmer hocken, bei Tee und Plätzchen, und sich über zum Gähnen langweilige Bibelverse unterhalten? Wie kann das nur einer aushalten?! Und das auch noch am Samstagabend, in den interessantesten Stunden der Woche? Da ist doch alles offen, da kann einem das große Glück begegnen und man hat viel Zeit , danach zu suchen, weil der Sonntagmorgen ja zum Ausschlafen da ist."
Edith redete und kam immer mehr in Schwung; wie ein Starverkäufer für Staubsauger. Ich mußte lachen. "Hör mal, dann hast du aber all die kostbaren Samstagabende an der falschen Stelle nach dem großen Glück gesucht, oder es ist schnell weggerannt, wenn es dich hat kommen sehen."
"Du kannst mich nicht beleidigen," sagte Edith spitz. "Du sprichst von Sachen, die du nicht kennst! Dein Friedrich sitzt Abend für Abend bei dir und hält Händchen. Du hast die Kinder um dich und eine Menge Hobbies, Du guckst nicht stumm die Wände an oder in die sterile Glotze, so wie ich!"
Auf offener Straße habe ich meiner Freundin übers Haar
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gestreichelt und mußte mir die Tränen verkneifen.
"Liebes, ich weiß das genau. Deshalb wünsch ich mir ja so sehr, daß du öfter mal bei uns wärst. Und das am besten natürlich, wenn viele da sind - ich möchte dir nämlich nicht auch noch weh tun durch die Vorführung unseres Familienlebens." Ediths Mundwinkel zuckten, sie hob die Schultern, sagte aber nichts.
"Wenn du unsere Gruppe siehst - es sind nicht nur Ehepaare, es kommen auch drei Frauen, die genau wie du, das 18. Lebensjahr schon etwas länger hinter sich haben. Die leben auch allein. Geteiltes Leid ist zwar auch schon halbes Leid, aber ich glaube, die könnten dir noch mehr helfen. Ihr Leben sieht trotz des Single-Daseins mit all seinen unangenehmen Seiten eben anders aus als Deins. Sie brauchen sich vor einem "Moralischen" nicht in irgendwelche hektischen Vergnügungen zu flüchten. Ach, was halte ich dir hier lange Vorträge! Wenn du mit deinen wundervollen, oder besser wunder-leeren Samstagabenden mal so unzufrieden bist, daß dir keine Alternative mehr einfällt, dann komm zu uns "alten Naiven" und setz´dich einfach dazwischen. Wir finden schon ein Thema, das dich interessiert. Frau Bär und Frau Markoff mußt du doch kennen, die haben bis vor kurzem im Salon "Chic" als Friseusen gearbeitet. Daß d i e beiden mit festen Füßen auf der Erde stehen, das hast du mir selbst mal gesagt."
Meine Freundin Edith ist eine ehrliche Person. Was sie denkt, das sagt sie auch. "Ich glaub´ nicht, daß ich mal so am Boden liegen werd´, daß ich zu euch angekrochen komm! Aber vielen Dank trotzdem für dein Angebot!"
Sie hat sich dann mit einem Blick auf die Uhr flüchtig verabschiedet und ist mit ihrem roten Auto davongerauscht.
"Na, wer weiß, liebe Edith. Auf jeden Fall solltest du den Frieden und die Freude für dein Herz auch an anderer Stelle suchen, nicht nur da, wo du seit über zehn Jahren bis jetzt noch nichts gefunden hast!"
Schade, daß sie meine Gedanken auf diese Entfernung nicht mehr lesen konnte. "Dann eben beim nächsten Treffen, liebe Freundin! Ich bin ja schon froh, daß du mir wenigstens glaubst, wie sehr ich dir das größte Glück der Welt gönne!"
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