Auch das Jahr 1997 hat wieder einen Namen, der zwölf Monate lang aus der Versenkung geholt wird und die Öffentlichkeit beschäftigen soll. Wissen Sie schon, wem die 365 Tage, die auf das Lutherjahr folgen, gewidmet sind?
Wir sagens Ihnen gleich - freuen Sie sich schon mal drauf!
Block 1: Befragung Bewohner Melanchthon -Str.
Block 2:
Also, ich hab da grade zugehört. Ne, Sie, da bin ich richtig froh, daß ich nich allein so dasteh wie Susie Blondie. Ich weiß nämlich auch nichts über diesen Melange-Ton - oder wie heißt der?
Wenn ich Ihnen das mal erklären darf, Frau ... , also, wenn Sie das echt interessiert - der Philip Melanchthon, das ist - oder besser gesagt, war - einer von den wichtigsten, bedeutendsten Köpfen unserer deutschen Kultur. Wenn sich der Name Melanchthon auch ziemlich ausländisch anhört - als der Junge am 16. Februar 1497 geboren wurde, hieß er noch Philip Schwarzerdt, genau wie seine Eltern.
Sein Vater Georg Schwarzerdt war Waffenschmied und die Familie lebte in Bretten in der Unterpfalz bei Baden.
Jetzt wissen Sie sicher, warum gerade 1997 zum Gedenkjahr für ihn wurde, oder?
Wenn Sie meinen, ich wär so dumm, wie ich aussehe, dann sind Sie an die Richtige geraten, Sie! 1497 kam der kleine Philip ja wohl auf diese kalte, fiese Mittelalterwelt.
Muß ein aufgewecktes Bürschchen gewesen sein, daß man nach 500 Jahren immer noch von ihm spricht!
Das können Sie laut sagen, Frau ..! Und ich weiß nicht mal, ob das auch so geworden wär, wenn der Kleine zuhaus gelebt hätte. Als er acht Jahre war, starb nämlich sein Vater, und die Mutter hat wohl eingesehen, daß der Sohn eine Ausbildung brauchte, die sie ihm nicht bieten konnte. So kam Philip zu seinem Großonkel nach Pforzheim. Das war der Humanist Johannes Reuchlin.

Na hoffentlich war dieser Großonkel auch wenigstens human zu dem armen Waisenkind. Das kennt man ja - arme Verwandtschaft im Haus, au, au!
Da kann ich Sie beruhigen, Frau.. Der Bruder seiner Großmutter hat sofort erkannt, wie aufgeweckt und intelligent Philip war. Johannes Reuchlin muß auch eine gute Art gehabt haben, Kinder zu unterrichten. Sein Großneffe jedenfalls war dann schon mit zwölf Jahren so weit, daß er an der Universität Heidelberg studieren durfte und mit sechzehn schon den Magistergrad hatte, das ist soviel Hochschul-Lehrer. Das war zwar damals nicht so außergewöhnlich wie es sich heute anhört, aber trotzdem war der Junge eine Ausnahme, weil es ihm am meisten Freude machte, die Bedeutung von Worten und Begriffen bis zu ihrem sprachlichen Ursprung zurückzuerforschen.
Da sagen Sie was, Herr K.,! Das täte unserer Jugend auch nix schaden! Kam doch der Dreikäsehoch von nebenan gestern zu mir rübergedackelt und sagt ganz treu: Guck mal, ich hab neue Innerleine-Skatter, kann ich schon annerleine mit fahren!
Aber sie wollten mir noch was erzählen über diesen Philip, wo ich dachte der heißt Melange-Ton und jetzt auf einmal Schwarzerdt?
Ja, das kam so: Philips Onkel -sein Hauslehrer, kann man sagen- der kannte sich aus bei den oberen Zehntausend. Schwarzerdt - mit dem Namen als Buchautor -
na ja, wenn einer einmal bekannt ist, gehts vielleicht, aber so frisch als Wissenschaftler - da wurde eben aus Schwarzerdt die lateinische Form Melanchthon, das hörte sich gleich ganz anders an! Damals ging das ohne große Formalitäten vonstatten.
Ach, da bin ich aber platt! Is ja´n interessanter Mensch. Erzählen Sie ruhig weiter! Bis unser Birgit nach Hause kommt, hab ich noch massig Zeit!
Block 3:
Noch en Tässchen Kaffee, Herr K.? Sagen Sie mal, was hat dieser Philip Melanchthon denn nu für die Menschheit verbrochen, daß der so berühmt geworden ist?
Also, das ist so: Humanismus und Reformation -oder vielleicht angefangen bei der Universitäts-und Schulreform -reformatorische Theologie - verstehen Sie, was ich meine?
Ne, da fällt mir höchstens ein, daß ich noch ins Reformhaus muß, für unser Birgit dieses Müsli besorgen, aber das wars ja wohl nich...?
Dann muß ich Ihnen die Sache der Reihe nach erzählen. 1518 war der 21-jährige Philip Melanchthon schon Professor für Griechisch an der Uni in Wittenberg. In Wittenberg arbeiteten zwar nicht die weltbesten Wissenschafter, aber der Lehrbetrieb war großzügiger und freier als in der Provinz. Der junge Professor hatte da einen guten Start, weil er bereits zwei Jahre vorher einige Bücher herausgebracht hatte.
Ein Schullesebuch in deutsch, das in vielen tausend Exemplaren schon an den Schulen verwendet wurde, und eine Grammatik für Griechisch, die 18 mal neu aufgelegt wurde. Sogar der damals sehr berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam hielt große Stücke auf Philip und lobte seine klardurchdachten Argumente und seine elegante Ausdrucksweise.
Ach, das wär schon gar nichts für mich! Ich versteh ja noch nicht mal den Beipackzettel von meinen Magenpillen. Und die Studenten heute könnten, glaub ich, auch nix mit dem anfangen, die sind ja oft froh, wenn se ihren Namen ordentlich hinkriegen - wie mein Alfred immer sagt.
Ganz so schlimm kann das ja nicht sein, Frau W.,
und dass die Lehr- und Lernmethoden an unseren Schulen in Europa all die Jahrhunderte ordentlich funktioniert haben und die Kinder wirklich -wie man so sagt- fürs Leben lernen konnten, das ist nun tatsächlich dem Philip Melanchthon als Verdienst anzurechnen. Wer z.B. ein Buch in d e r Sprache lesen kann, in der es geschrieben wurde, hat jedenfalls ne ganze Menge mehr davon.
Und dass dieses junge Genie überhaupt auf die Idee kam, in die Schule frischen Wind reinzubringen, das hing wieder damit zusammen, wie er den Humanismus verstand.
Mag ja alles sein, Herr K., Für mich ist Humanismus im Moment, wenn ich uns erstmal ne neue Kanne Kaffee aufbrüh und dann können Se mir nachher noch mehr über diesen sympatischen jungen Philip erzählen.
-Einschub Teil 2-
Philip Melanchthon - ob die gute Frau ... noch begreift, wen die Jury dieses Jahr auf ihrem Silbertablett präsentiert? Als Person hätte dieser Mann es wirklich verdient, bekannter zu sein.
4. Block:
Ne, sagen Se bloß, Herr K., Und Sie beschäftigen sich mit diesen histerischen- ich mein historischen- Sachen und so studierten Menschen wie diesem Philip Melanchthon -sehen Se, ich kann den schon richtig aussprechen! Was hat der denn nun so anders gemacht als die übrigen gelehrten Pinsel damals?
Ja, wie soll ich Ihnen das kurz erklären?
Erklären Se ruhig lang, ich hab Zeit, wie gesagt.
Also, Philip Melanchthon war Humanist. Humanismus erkennt man an der Meinung, daß der menschliche Verstand bei allem, was er hört, entscheiden könne, was richtig ist und was nicht, wenn er die Regeln beherrscht, w i e man eine Sache beurteilt. Und es gibt nach dieser Auffassung nichts, was dabei eine Ausnahme bildet, sogar das nicht, was in der Bibel steht. Das ist das eine. Man geht davon aus, daß der Mensch einmal als vollkommen ideales Wesen geschaffen wurde und die Grundstruktur -wenn ich mal so sagen darf- sich auch nicht verändert hat. Sie wäre nur im Lauf der Zeit mit ziemlich viel Schmutz und Schund verdreckt worden und die reine Form wäre verschüttet. Das Hauptziel des Humanismus ist nun, diese lästige Schicht wieder runterzukriegen, und der reine, vollkommene Mensch käme wieder zum Vorschein.
Hört sich irgendwie gut an, doch! Aber, Sie, ich als Hausfrau sag Ihnen eines: Dreck is ja nich gleich Dreck - manches geht im Feinwaschgang raus aber es gibt Flecken, o ha, da geht eher das Muster aus dem Stoff als diese Sauerei. Und es bleibt einem nix anderes übrig, als das Teil in die Lumpenkiste zu befördern. Hat sich der kleine Philip da auch mal Gedanken drüber gemacht?
Ja, da wollt ich gleich drauf kommen, Frau ..., da hat er sich tatsächlich seine Gedanken gemacht und das hängt wieder mit Wittenberg zusammen und mit einem Mann, den er da als Freund gewonnen hat. Ich nehm mir grad nochmal nen Stück von ihrem saftigen Kuchen, dann erzähl ich weiter!
5. Block
Na, schmecktet, Herr K.? Also, lassen Se mich mal überlegen - ab und zu hab ich ja in der Schule auch aufgepaßt. Der Philip Melanchthon ist 1497 geboren und hat hinterher in Wittenberg gearbeitet. Das war doch die Zeit, ich mein... da muß er doch öfter dem Martin Luther übern Weg gelaufen sein, der war doch bloß so ca. 10 Jahre älter und wohnte damals auch in der Gegend.
Jetzt sind Sie selber drauf gekommen, Frau ..! Die Freundschaft zwischen unserem Philip und dem Reformator Martin Luther hat unserer sogenannten abendländischen Gesellschaft einen Ruck nach vorne gegeben, der heute noch nicht so richtig in seiner ganzen Tragweite erkannt wird.
Ich sagte ja schon, dass Melanchthon von der humanistischen Idee so begeistert war, weil der Mensch und sein scharfer Verstand endlich mal zum Zug kommen dabei. Aber als er dann die Vorträge und Predigten von Martin Luther gehört hatte, wurde ihm plötzlich klar, daß es Dinge gibt, die der Mensch mit seinem Kopf nicht beurteilen kann und schon gar nicht selbst wieder in Ordnung bringen. Genausowenig wie sich jemand, der im Moor versinkt, an den eigenen Haaren herausziehen kann.
Wie Sie schon sagten, Frau..., es gibt Flecken, die machen das schönste Wäschestück zum Putzlumpen. Und die allseits bekannte Art des "alten Adam" ist so ein Schandfleck, der sich mit keinem Mittel mehr beseitigen läßt. Also muß was Neues her! Und zu so einem neuen, unbefleckten Menschen wird einer nur, wenn er sich d i e Unschuld schenken läßt und sie anzieht, die ihm von dem Mann am Kreuz auf Golgatha angeboten wird.
Das hat der Philip Melanchthon voll begriffen und war froh darüber.
Na, sehen Se mal, jetzt hat die Geschichte ja noch en Happy end! Aber Sie, wenn ich das richtig verstanden hab, dann sagten Sie, man soll sich so ne neue Existenz schenken lassen. Geschenkt ist geschenkt, da braucht man nix für zu leisten. Warum hat der arme Kerl sich dann noch so viel Arbeit gemacht und diese gelehrten Bücher geschrieben und das Geschenk so kompliziert verpackt?
Junge, Junge, Frau .., Sie werden ja richtig philosophisch! Sehen Sie, genau das haben sich später auch viele Leute gefragt und darum ist er auch manchen naiven Gemütern ein Dorn im Auge gewesen. Martin Luther hat aber immer zu ihm gehalten. Wenn einer sich bemüht, viel zu lernen und zu wissen, darf er ruhig auch mal Fehler machen. Das ist immer noch besser, als wenn andere über Sachen reden, von denen sie so gut wie nichts verstehen. Sie könnten sich doch bestimmt auch nicht vorstellen, wenn Sie Ihrer Birgit einen Computer schenken würden, daß sie den dann als ein bißchen groß geratene Nippesfigur im Wohnzimmer aufstellen würde.
Schlau wie sie ist, wird sie den ja wohl nutzen und all die tollen Möglichkeiten herauskitzeln, die in dem Ding stecken.
Sie können einem das wirklich nett erklären, Herr K., also mir fällt da grad die Frau Germersbach bei uns aus Parterre ein. Die sagte vor kurzem: Frau W., sagte se, wer in unserem Gemeindehaus seinen Verstand an der Garderobe abgibt, der ist im falschen Film. In dem Moment konnte ich mir das nich so richtig wechseln, weil es doch immer heißt: Glauben heißt: nicht wissen,......
Also, seit 500 Jahren hat sich das leider noch immer nicht überall rumgesprochen, daß das so nicht gesagt werden kann. Martin Luther war jedenfalls sehr froh, daß er einen Freund mit Namen Philip Melanchthon hatte. Ohne den hätte er die Übersetzung des Neuen Testamentes vom Griechischen ins Deutsche nie zustande gekriegt. Und ohne diesen jungen Professor aus Bretten in der Unterpfalz wären die jungen Chemiker, Physiker und sonstigen Naturforscher an den Unis der Welt immer noch von dem Lehrstoff abhängig, den die hohe Geistlichkeit vorgekaut hatte.
Mann, Herr K., das sind ja ziemlich dicke Brocken, die sie mir hier zu meinem Kaffee servieren. Ich muß mir das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Das hört sich ja grad so an, als müßt ich mich am Ende noch bei ihrem Philip bedanken, daß ich heute ne Waschmaschine, nen Staubsauger und ne Glotze in Technicolor hab!
So weit weg ist das echt nicht, Frau...
Na, ich weiß nich, ob ich das gut finden soll. Dann kommen auch all die Superwaffen und chemischen Keulen auf sein Konto, und dann kann er sich seinen befreiten Verstand von mir aus einsalzen lassen!
Tja, meine Liebe, so ist das mit der Freiheit! Da wären wir wieder bei den Grenzen unserer grauen Zellen und bei dem, was der gute Melanchthon von Martin Luther gelernt hat. Aber auf dem Ohr sind die Zweibeiner bis heute ziemlich taub und darum geht es ihnen wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht. Kennen Sie den?
Schon wieder jemand, den ich nicht kenn? Ne, lassen Se et mal für heute gut sein, Herr K., mir raucht schon der Kopf; und überhaupt muß ich jetzt doch zusehen, daß ich den Tisch gedeckt krieg, sonst nimm t sich mein Mann die Freiheit und verzieht sich zum Essen in sein Stammlokal.
Abschluß und Verabschiedung:
Frau Weckerlein und ihr Gast hatten ja heute ausnahmsweise ein Gespräch mit richtigem Tiefgang. Über den Humanisten Philip Melanchthon gäbe es noch sehr viel zu sagen und zu erklären. Wie sich Martin Luther und er gegenseitig ergänzt haben, welchen Einfluß die Theologischen Werke Melanchthons auf die Lehrmethoden der späteren Jahrhunderte hatten kann man in verschiedenen Büchern in allen Einzelheiten nachlesen.
Nach Luthers Tod wurde er in eine Führungsrolle im Auftrag der Reformation hineingedrängt, die ihm allerdings nicht lag. Kaiser Karl der V. legte den Protestanten wiederum eine Reihe Formalien auf, die eher zum Katholizismus hinwiesen. Melanchthon konnte ohne seinen Freund Luther an der Seite die verschiedenen Richtungskämpfe nicht steuern. Sogar manche seiner Schüler wandten sich später von ihm ab.
Seine Bedeutung für die geistige und kulturelle Entwicklung Deutschlands ist immer schon gewürdigt worden. Seine Verdienste als Lehrer der Kirche waren, wie erwähnt, lange Zeit umstritten. Erst in neuerer Zeit bemüht man sich um ein besseres Verständnis seiner theologischen Werke. Die Geschichte gab ihm zu Recht den Ehrentitel praeceptor germaniae.
Er starb am 19.4. 1560 in Wittenberg. Ein klares Bekenntnis zur Hoffnung in Christus ist handschriftlich erhalten, über sein Privatleben ist leider nur wenig bekannt.
Soweit unsere kleine Ergänzung zur Person. Wir würden uns freuen, wenn alle Bewohner von Melanchthonstraßen rings im Land jetzt genau Bescheid wüßten,
und wünschen Ihnen von hier aus noch einen gemütlichen Abend , wenn möglich mit anregenden Gesprächen in netter Runde
und sagen, bevor die geballten Kulturhinweise auf Sie treffen, von hieraus schon mal auf Wiederhören bis zum nächsten Radiotreff GL-Abend