Überraschung!
"Weißt du was, Waltraut? Ich hätte große Lust, nach Köln zu fahren und über die Hohe Straße zu bummeln!"
"Mensch, Margot," das ist ne Idee! Nimmst du mich mit? Ich hab doch kein Auto! Zu zweien macht es viel mehr Spaß, sich samstagsmorgens durchs Gedränge zu quetschen. Dann malen wir uns wieder aus, welche schicken Klamotten oder welchen hochkarätigen Schmuck wir uns kaufen würden, wenn wir mal im Lotto gewännen. Wir sind zwar schon ein paar Jahre älter als achtzehn, aber ab und zu so richtig albern sein, das ist doch nett!" Wir bummelten also am nächsten Samstag die Hohe Straße entlang . Schrille Typen liefen an uns vorbei. Wir sahen braune Gesichter, tiefschwarze , auch gelbe Gesichter.
Niedliche Türkenkinder und Frauen im bunten Sari gingen vorbei. "Guck mal, Waltraut, dahinten geht Tarzan im Tigerfell mit ner Donnerbüchse über der Schulter!"
Waltraut winkte ab und stöhnte. "Margot, meine Füße fühlen sich an, als hätt ich all die fremden Gestalten aus ihren Heimatländern heut vormittag eigenhändig hierher getragen!"
"Dann laß uns nen Kaffee trinken, komm, hier werden Plätze frei!" Wir setzten uns an einen kleinen, runden Tisch. Waltraut zog ihre Schuhe aus und streckte die Beine.
Der Kaffee schmeckte etwas nach Tee, dafür war das Eis etwas wässriger.
Wir konnten jedenfalls von unserem Platz aus das Gewimmel bequem beobachten und kommentieren. Waltraut stieß mich an. "Die Frau dahinten steht noch immer da. Wer weiß, auf wen die wartet!" Eine blonde Frau, so ungefähr in unserem Alter, hielt schon eine viertel Stunde Wache bei einem Riesen-Pappkarton. Der Aufschrift nach war ein ziemlich teurer Fernsehapparat darin. "Der Mann holt bestimmt das Auto dahin, Waltraut," vermutete ich, "das schwere Trumm können die doch sogar zu zweien nicht tragen!"
Zwei Minuten später ging ein Mann auf diese Frau zu. "Na, das kann doch wohl nicht ihre andere Hälfte sein!" Der schwarzhaarige und ziemlich dunkelhäutige Mann sprach mit der wartenden Frau. Ich sah einen Geldschein in seiner Hand, die Frau nahm den Schein entgegen und ging damit in das Fernsehgeschäft. Kaum war sie hinter der Glastür verschwunden, wuchtete der Fremde den schweren Karton auf die Schulter und war in der Menge untergetaucht. Ich sah Waltraut an, sie sah mich an - ich stand auf. "Du, ich muß in das Geschäft! Was die Frau auch immer da macht mit dem Geld, der Bandit ist mit ihrem teuren Fernseher abgehauen und sie steht jetzt da mit ihrem Talent!"
Waltraut kam mit. Die Frau kam aus dem Laden, ging Richtung Straße und guckte sich hilflos um .Sie sah sich das Geschäft an, ob sie auch den richtigen Ausgang erwischt hatte. Ich ging auf sie zu. "Entschuldigen Sie, daß wir Sie ansprechen. Wir haben die ganze Sache beobachtet. Der Kerl ist mit Ihrem Fernseher auf und davon. Hätten Sie den doch nicht hier mit dem Karton allein gelassen." Ich wollte ihr die Sache noch ausführlicher schildern, aber sie winkte ab und hielt
mich am Ärmel fest.
"Sie müssen unbedingt hören, was da abgelaufen ist!" Sie holte tief Luft und sah sich um.
Waltraut wurde das zu dumm. "Ihren Humor möcht´ ich haben! Gleich kommt Ihr Mann oder wer immer das Auto holt, und was machen Sie dann? "
"Ich erzähl Ihnen die Geschichte von Anfang an," sagte sie."Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt lachen oder weinen soll, weil - also das war so: Mein Mann und ich wollten heute morgen nur sehen, ob drüben in dem Sportgeschäft noch diese neuen Skater zu haben sind. Zuerst wollten wir schnell allein dahin, aber dann haben wir ihn doch mitgenommen, er war in letzter Zeit so wenig an der frischen Luft, weil er so schwerfällig geworden ist. Schließlich sind fünfzehn Jahre kein Pappenstiel.
Wir kamen mit ihm hier aus der Nebenstraße und blieben vor dem Schaufenster von diesem Fernsehgeschäft stehen, da zuckte er so seltsam, und jammerte leise, dann knickte er ganz langsam mit den Beinen ein. Er fiel zur Seite und verdrehte die Augen, dann lag er da - so still. Mein Mann versuchte noch, ihn wieder hochzuheben, aber wir haben gemerkt, daß er nicht mehr atmete. Er war tot. "Na, wer denn nun?" platzte Waltraut heraus. "Unser Rex, unser Dobermann, -sagte ich das nicht? Also, wir standen hier mit unserem Rex und wußten nicht weiter. Tragen - dazu war er uns beiden zu schwer, die Leute guckten auch schon. Mein Mann ging dann in den Laden und kam mit einem schönen, stabilen Karton zurück. Ein Junge hat uns noch geholfen, Rex in den Karton zu hieven. Ich hab schnell den Deckel zugemacht, ich
konnte ihn nicht mehr ansehen. Mein Mann sagte: Ich geh den Wagen holen, für den kurzen Moment werd ich wohl in die Fußgängerzone reinfahren dürfen. Aber es sieht so aus, als hätte er sich mal wieder in den Einbahnstraßen verfranst, sonst wäre er längst hier."
Waltraut platzte los: "Und dann kam der schlaue Trickdieb und hat Ihren "ach so teuren Fernseher" mitgehen lassen?" Die Frau stand da, zuckte mit den Schultern. Waltraut lachte immer noch. "Seien Sie doch froh! Sie haben ne Menge gespart! Sich selbst viele Tränen um ihren Rex, die Kosten und Mühe für seine Beerdigung, und halten noch hundert Mark zusätzlich in der Hand, die Sie nicht mehr zurückgeben müssen."
Die Frau holte tief Luft. Ich bin gespannt, was mein Gustav sagen wird. Ich möchte bloß gern das Gesicht von dem fleißigen Kartonschlepper sehen, wenn er seinem Boß den guten Fang präsentiert, den er so billig ergattert hat!"