"Achtung, achtung! Heiß und fettig! Nur Mut, Frau Vorburg, hinein in
die braune Masse!"
Der Masseur, bei dem Frau Vorburg ihre verspannten Muskeln behandeln
läßt, hat immer so witzige Sprüche drauf. Damit die
Fangopackung auch ihren Zweck erfüllen kann, verpackt er Frau Vorburg wie
eine Mumie, wünscht ihr eine geruhsame halbe Stunde, und
verläßt die Kabine, um die nächste Patientin zu kneten.
Frau Vorburg kennt die Möbel im Raum und die Bilder an den Wänden
schon vom letzten Mal. Aber die hübsche Rankpflanze auf dem Fensterbrett
muß neu sein. Frischgrüne Blättchen, aufrecht wie kleine
Lanzen,nur bleistiftbreit. Manche anmutig zur Seite gebogen, so daß die
hellen Längsstreifen der Innenseite zu sehen sind. Das niedlichste sind
die Ableger am Ende der dünnen Triebe. Wie ton-in-ton-gefärbte
Prinzessinnen-Krönchen sehen sie aus. Frau Vorburg ist ganz begeistert. Am
Ende der Massage traut sie sich, Herrn Schütz zu fragen. "Darf ich so
frech sein und Sie bitten, mir von der tollen Pflanze dort einen Ableger
abzugeben?" Herr Schütz lacht. Aber klar, Frau Vorburg, nehmen Sie sich,
was Sie wollen. Sagen Sie mir dann mal Bescheid, wie der Ableger angegangen
ist?
Frau Vorburg will vorsichtig eins der Blattkrönchen mit den
Fingernägeln abknipsen. Ihr spitzer Schrei geht in dem schallenden
Gelächter von Herrn Schütz und seiner Kollegin unter. "Ne, so was
aber auch! Sie Witzbold!" Frau Schütz holt tief Luft. "Da hätt ich ja
lange warten können, bis der Ableger gewachsen wär! Aus Plastik ist
die edle Schönheit! Also, von weitem hab ich das selbst mit Brille nicht
gesehen!"
Am Abendbrottisch fing Frau Vorburg zu kichern an. Ihr Mann meinte:"Laß
mich mitlachen!" Die Pleite mit der Plastikblume machte ihn ganz
nachdenklich.
"Das Ding erinnert mich an unseren Egon Förster. Weißt du noch, wie
lange wir den von weitem gekannt haben und ihn anderen gegenüber oft und
oft als leuchtendes Beispiel für ein klares, aktives Glaubensleben
angeführt haben? Und auf der Tagung letzten Herbst, als ich zum ersten Mal
persönlich mit ihm sprach, kam doch tatsächlich heraus, daß er
die Kreuzigung Jesu für eine Bankrotterklärung Gottes hält und
damit fü sich überhaupt nichts anfangen kann."
Dir fällt der Egon Förster ein und mir Klärchen Baltes. Die hat
du ja nicht so gut gekannt. Sie brauchte nur die Redewendung:Gott sei Dank! zu
hören - und schon ließ sie erstmal ne lange Bekehrungsrede vom
Stapel - aber zuhause saß ihr Mann und mußte seine Socken selber
stopfen!"
Ne, Hilde, das ist mir zu einfach. Wenn eine chaotische Haushaltsführung
immer ein deutliches Merkmal für Plastik-Christen wäre - o ha, dann
wären wir beide bestimmt in den Augen einiger Freunde auch solche
Christen-Attrappen!"
"Na ja, da müssen wir eben auf der Hut sein, uns nicht so zu benehmen,
daß wir für andere so wirken wie Attrappen. Aber du hast recht -
wenn es nach dem alltäglichen Verhalten und dessen Differenz zu den
biblischen Maßstäben ginge - dann stünden im neuen Garten Eden
zum Schluß wohl nur noch Plastikblumen. Aber du hast mit dem Vergleich
angefangen. Ich finde das interessant. Wenn man so denkt: künstliche
Blumen haben doch ne Menge Vorteile. Sie welken nicht, sie müssen nicht
gepflegt werden, sie sehen meist schöner und gesünder aus als
natürliche und sie halten hundertmal länger."
"Und wie willst du all diese tollen Eigenschaften auf Plastik-Christen
übertragen?"
Ganz einfach: sie sind nach außen hin zu allen freundlich, sie halsen den
Betrachtern keine Probleme auf, es gibt keinen Abschied von ihnen, weil sie
nicht welk und krank werden und irgendwann eingehen."
"Auch was Tolles! Aber Sauerstoff - Lebensatem- der ihrem Eigentümer
nützlich ist - den geben sie nicht an. Aufmerksame Pflege läßt
sie völlig kalt, neue Triebe oder Blüten sucht man an ihnen
vergebens. Also, ne, weißt du, alles in allem..."
"Meinst du, das wüßte ich nicht? Das war doch bloß Ironie von
mir! Mich interessieren an dem ganzen Gedankenspiel eigentlich mehr die
Stellen, wo der Vergleich anfängt zu hinken. Sieh mal: Plastikblumen
werden als Dutzendware von Maschinen gepreßt - wo werden aber
Plastik-Christen hergestellt?
Und noch brisanter: Plastik-Christen können lebendig werden, wenn sie
Gottes Geist in sich aufnehmen.
Irgendwo hakt jeder Vergleich, Hilde. Es ging mir ja auch nur darum, zu
erklären, daß sich bei näherem Hinsehen mancher fromme,
frischgrünfarbene Blume als tote Attrappe aus Plastik entpuppt. Aber - das
ist leider bei Menschen nicht so einfach zu erkennen wie bei Pflanzen"
"Du sagst es, Lieber! Wir sind oft ziemlich schnell mit unserem Gutachten -oder
sag ich lieber: Schlechtachten? Wie heißt es: der Mensch sieht, was vor
Augen ist, aber Gott sieht das Herz an. Wir wissen nicht, in wieviel
Platik-Christen schon tief drinnen das Leben anfängt zu keimen!"
"Aber trotzdem - ich glaube nicht, daß wir uns benehmen sollen wie die
drei weisen Affen - ich hab nichts gehört, ich hab nichts gesehen, ich hab
nichts gesagt. Schließlich steht deutlich und ernst geschrieben: Wer
sagt: Ich liebe Gott und haßt seinen Nächsten, der ist ein
Lügner - und auch: wer sagt: ich bin gerecht - und versorgt nicht seine
Familie so gut es ihm möglich ist, den sollen wir behandeln wie einen
Zöllner und Sünder."
"Ha, ha! Und wie hat Jesus die Sünder und Zöllner behandelt? Da
brauch ich ja wohl nichts weiter drüber zu sagen!" Aber du hast schon
recht: wenn einer ein kirchliches Amt hat oder fromm daherredet, heißt
das noch lange nicht, daß er in sich den Keim der ewigen Existenz
trägt."
"Und es kommt noch dazu, daß diese täuschend echten Attrappen vielen
Lebewesen, die nach Duft und Schönheit verlangen, die Suche danach
vermiesen."
"Ach, komm, nicht so negativ denken! Du hast selbst gesagt, daß
Plastik-Christen jeden Tag eine neue Chance haben, lebendig zu werden, zu
blühen, zu wachsen, Früchte zu tragen, usw."
"Das hast du schön gesagt - warte, ich will mir die Hauptstichworte
aufschreiben, sonst vergeß ich sie wieder bis ich Freitagmorgen mit
meinem Foltermeister über seine prächtige Plastikranke sprechen
kann."