"Monte-Summerchens" Rache
"Wo sind die Häcksken?" Lehrer Steinig, in den Nachkriegswirren mit Frau,und adoptierter Tochter Brigitta,aus Rostock nach Wuppertal verschlagen, hatte hinter der Schule Am Hofe, zwischen Schulhof und Turnhalle einen Garten anlegen lassen, mit exakten Beeten und Zwischengängen. Von den Klassen 7 und 8 bekam jedes Kind sein eigenes Beet zugewiesen und es durfte fleißig gesät, gegossen und vor allem mit den besagten Häcksken Unkraut gejätet werden. Eine wunderschöne Idylle, die aber bei schönem Wetter öfter durch Entsetzensschreie gestört wurde. Da liefen Jungs und Mädchen in Panik über gerade reifende Kohlrabi und durch Stangenbohnenwälder. Meist kam die Flucht aber zu spät - die Bestien hatten schon zugestochen! Lehrer Steinig brachte dann die Jodflasche an verarztete die malträtierten Körperstellen, nicht ohne vorher den vermaledeiten Bienenstachel mit der Pinzette zu entfernen.
Warum legten die fleißigen Brummerchen auch ihre Flugschneisen in Richtung Stock genau über unseren Gartenbeeten an? Lehrer Steinig kannte sich mit seinen Bienen gut aus. Mehrere Körbe standen nebeneinander vor einem kleinen Schuppen. Für die Schüler gab es ein paarmal im Jahr verdunkelte Klassenräume zwecks Vorführung von Steinigs selbstgedrehten Filmen über das Leben der Bienen im allgemeinen und speziellen. Jede Klasse wurde hin und wieder abkommandiert, die lieben Tierchen auch live zu besichtigen, und das während deren aktiver Zeit an warmen Vormittagen.
"Keine Bange, Kinder! Wenn ich meine Pfeife anhabe und die Bienen mit dem Spezialrauch beruhige, dann
werdet ihr garantiert nicht gestochen."
Der Lehrer hats gesagt - also mußte das stimmen!
Nur - die Bienen hatten das wohl in ihrem Streß nicht mitgekriegt und schon hatte ich einen Stich an der Birne! "Zeig mal her, Horst-Jürgen!" Der Stachel war schnell draußen, aber die Beule wuchs. "Lauf am besten nach Hause und laß dir Essig oder Jod drauftun. Ich habe grade nichts hier!"
Daß ich vor Schulschluß abtraben durfte, war nur ein schwacher Trost.
Mann, hatte ich eine Wut im Bauch! Auf die hinterlistigen Bienen, auf den falschen Fuffziger von Steinig - das gab Rache! Aber wie? Vom Hütterbusch nach Hause lief ich übers Ehrenmal. Ungefähr bei Kölkers Wiese traf ich Paul Stoll. Der hatte eine kleine Anstreicherwerkstatt und war mit seinem Handwerkszeug unterwegs. "Na, Huä, Schule am End oder biste am Schwänzen?" Mich juckte seine Uzerei wenig, weil mir plötzlich die Erleuchtung kam, wie das mit der Rache werden würde. "Wofür brauchst du denn Fensterkitt, Jung? Na, ist schon gut, Jungens haben ja immer was zu knöstern. Hier haste nen Knubbel. Kommste damit aus?" Zum Glück brauchte ich zuhaus auch nicht zu
erklären, wo ich noch so spät hinwollte. Im Eiltempo also wieder Richtung Schule, Sprung übern Zaun und durch die Beete an die Bienenkörbe. Haltet euch bloß tip, ihr Biester! In den Stöcken summte und brummte es tierisch, aber drumherum waren nur noch ein paar Spätheimkehrer. Nichts wie den Kitt herausgeholt und damit bis zum letzten Krümel alle erreichbaren Fluglöcher und Ritzen zugekleistert! So, jetzt konnten die mal sehen, wie sie an ihr
Frühstück kamen, und das Stechen war auch erstmal vorbei! O ha, was lag da auf dem Regal im Schuppen? Die große Pfeife, vollgestopft mit dem beißenden Kraut, das die Bienen angeblich so friedlich machte! Und die sollte ich einfach da so liegenlassen? Her damit, den Knaster angesteckt und ordentlich auf Lunge gezogen. Den Qualm rausgeblasen wie Willes Schornstein und immer wieder rein damit in die letzten kleinen Spältchen vom Bienenkorb! Schöne Träume, ihr dadrinnen und hustet mal kräftig! Das habt ihr davon, mich zu stechen!
Alles erledigt, Pfeife wieder genau auf ihren Platz gelegt, und in fünf Minuten wollte ich zuhause sein. Bloß - die Hütter Straße war doch sonst keine Kirmes-Raupe! Ich ging wie auf Eiern, mir war kotzübel, im Magen kochte die Jauche - und am Ehrenmal kam die dritte Ladung oben heraus. Was da auf den Hof wankte, war leider alles andere als der stolze Rächer seiner Schmach. Und ich könnt heut noch wetten: die Bienen lernten in dem Augenblick ´nen neuen Schwänzeltanz, und der hieß: 30 Grad Nord und 20 Grad West wohnt der Horst-Jürgen Kondrotek, der hat für lange Zeit den Honig abbestellt.
Horst-Jürgen Kondrotek
verh.,