Wetzlar, Mai 1772 J.W. (v.) Goethe daselbst Advokat am Reichskammergericht
An hochw.geb.
Claudius, Math.
-Redakteur d. "Wandsbecker Boten"
Hamburg-Wandsbeck
Verehrter Herr Claudius,
den von Ihnen herausgegebenen "Wandsbecker Boten" lese ich seit einiger Zeit mit viel Interesse. Unser gemeinsamer Freund H. Klopstock läß ihn mir seit dem ersten Erscheinen regelmäßig von Kopenhagen aus zukommen. Es soll hier lobend erwähnt werden, mit wieviel Akribie Sie die Nachrichten aus Kunst und Wissenschaft zusammenbringen und dem pp. Publikum zu "Augen" bringen. In Sonderheit die Seiten, die neu erschienene literarische Werke bekanntmachen und kommentieren, werden von allen Kennern und Bewunderern sehr geschätzt. So möchte ich Ihnen nicht verhehlen, daß es mir sehr gelegen wäre, in Ihrem Blatt einmal meine eigenen neuesten Ausarbeitungen vorstellen zu dürfen, wofür mir Herr Klopstock bereits im voraus Ihre freundliche Zusage in Aussicht stellte. Ich lege diesem Couvert einige Seiten aus dem "Götz von Berlichingen" bei.
Herrn Johann Gottfried von Herder, heute -wie Sie sicher wissen- Konsistorialrat in Bückburg- den ich zutiefst schätze und verehre, ist es zu verdanken, daß ich die erste Fassung des "Götz" noch einmal - und wie ich hoffe- zu aller Vorteil, überarbeitete. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn das gesamte Werk bald in Buchform erscheinen könnte, wäre Ihnen aber, wie zum ersten erwähnt, sehr
dankbar, wenn Sie im "Wandsbecker Boten" einem kurzen Vorabdruck Ihre Zustimmung geben könnten.
Einige persönliche Anmerkungen möchte ich, wenn erlaubt, noch anschließen. Ihr Name ist mir seit Jahren vertraut. In meines Vaters Hause ist Frau Susanne von Klettenberg eine immer gern gesehene Freundin. Sie hat meiner Mutter und mir im Jahre 68 sehr aufopfernd zur Seite gestanden. Durch unglückliche Verkettungen von Umständen privater Natur hatte ich seinerzeit gegen eine schon überwunden geglaubte Krankheit zu kämpfen, die mich an den Rand des Todes brachte. Frau von Klettenberg pflegte mich, das "arme Füchslein", und heiterte mich recht auf. Sie erwähnte Ihren Namen, da sie Ihre Verse bereits aus Ihrem Büchlein "Tändeleien und Erzählungen" kannte. Sie schätzt Ihre Haltung zu religiösen Fragen sehr. Sie sprach mir auch viel von ihren Verbindungen zu den Herrnhuter Brüdern und deren ernster Gläubigkeit. Sie beeindruckte mich sehr, da bei ihr Wandel und Wort übereinstimmen in schönster Weise.
Nun ich nicht mehr gewillt bin, nach überwundener Krankheit und all den Herzensniederlagen, was meine Zukunft mit einem liebenden Weib betrifft, noch weiter auf meines Vaters Rat zu hören und Jura zuende zu studieren, werde ich - ganz auf Intuition gestellt - all mein Erleben und das Gehörte von anderwärts in Reime, Gestalten und Dramen verpacken. Es gibt eine gute Anzahl erlesener Gönner und Helfer, die mich in all dem weiterbringen werden, worunter Herr von Herder der vornehmlichste ist. Selbst, da er zuvörderst mein "Geschreibsel" zwar "gut" aber auch "spatzenmäßig" fand, sieht er mich doch gerne recht gefördert und gefordert. Da Sie diesen hervorragenden Geist ebenfalls "Freund" nennen, gebe ich mich also der Hoffnung hin, daß Sie mein Manuskript mit Wohlwollen lesen werden und in Ihrem Blatt veröffentlichen können.
Nach Abschluß meines Studiums in Straßburg befinde ich mich z.Zt. als Advokat in Wetzlar, habe aber die feste Absicht, noch in diesem Jahr nach Frankfurt zurückzukehren,
da mir die Juristerei nicht erscheint als würde sich mein Leben darin erschöpfen. Vielmehr reizt mich die Bauweise der Natur, d.h. der Pflanzen und Tiere, zur Erforschung ihrer tiefen Geheimnisse, und die Bauweise der Sprache, mit ihr alles zu sagen, was Menschenköpfe und -herzen durchwebt. Ihre geneigte Antwort trifft mich, so hoffe ich, aber noch hier im Reichskammergericht zu Wetzlar an, ansonsten werde ich Ihnen meine Frankfurter Adresse, wie es Ihnen zupaß kommt - noch zusätzlich bekanntgeben.
Es drängt mich, Ihnen a finito eine sehr angenehme Sommerzeit zu wünschen und Ihnen, last not least aus meinem ehrlichsten Herzen noch im Nachtrag zu Ihrer vor kurzem stattgefundenen Hochzeit mit der ehrenwerten Jungfrau Rebecca Behn, zu gratulieren.
Es sei Ihnen beiden ein langes Leben voller Freude und allem Segen beschert.
Die besten Empfehlungen sagt an dieser Stelle mit untertänigster Erwartung Ihrer geneigten Rückantwort
Ihr
J.W. G.

WANDSBECKER BOTHE
Redaktion Matthias Claudius privatim: ebenfalls Hamburg-Wandsbeck
An wohll. Herrn
Joh. Wolfg. Goethe
Wetzlar
Reichskammergericht
Verehrter Herr Goethe! Ihren geschätzten Brief habe ich erhalten und gelesen. Gerne komme ich Ihrem Wunsche nach und werde Ihr Manuskript voraussichtlich im Laufe des nächsten Monats absetzen lassen. Wenn Sie es wünschen, übersende ich Ihnen vor Drucklegung Korrekturfahnen - aber lassen Sie mich dies durch eine kurze Mitteilung wissen, da wir -um Kosten zu sparen- dies ansonsten im Hause erledigen werden.
Es ist der Brauch, daß über Inhalt und Stil eines Werkes in unserem Blatt gleichzeitig eine Rezension erscheint. Ich hoffe Sie auch hiermit einverstanden und eventuelle Kritiken als Ermunterung und Hochachtung vor Ihrer Arbeit zu verstehen.
Gerne habe ich vernommen, daß Ihnen Frau Susanne von Klettenberg bekannt ist, deren Namen auch mir bereits genannt wurde, obwohl ich leider nicht die Ehre habe, ihr persönlich begegnet zu sein. Sollte Ihre Verbindung zu der Dame noch aufrecht bestehen, bitte ich, ihr meine untertänigsten Grüße auszurichten, vor allem, da sie eine rechte Schwester in Christo in ihr geschildert haben. Ich hoffe sehr, liebwerter Herr, daß Sie ihre Vorstellungen und Ermahnungen in rechter Weise beherzigt haben und ebenfalls Ihre Hoffnung im Leben und im Tod auf die einzig wahre Quelle stützen.
Werde mich - um auf Ihr Anliegen zurückzukommen - jedenfalls mit Ihrem Manuskript sehr gewissenhaft und eingehend beschäftigen, und hoffe, Ihrem Gedankengut und Ihrer Absicht mit diesen historisch und philosophisch angelegten Charakteren gerecht zu werden.
Sie dürfen versichert sein, daß Sie in Bälde mehrere Beleg-Exemplare unseres Blattes, Ihren Abdruck und meine Rezension beinhaltend, in Händen haben werden.
Es ist Ihnen hoffentlich keine zu große Bekümmernis, wenn ich Ihnen wörtlich mitteile, daß wir leider nicht in der Lage sind, ein Autoren-Honorar festzusetzen. Die finanzielle Grundlage des für uns so wichtigen Kultur-Organs ist leider immer noch nicht stabil, und so müssen sich die Herren und Damen Autoren leider mit der Ehre der Veröffentlichung zufriedengeben, in der Hoffnung, daß auf diese Bekanntmachung in Kürze weitere lukrative Drucklegungen folgen.
In vorzüglicher Hochachtung
verbleibe ich inzwischen
M.C.