Einleitung 2. Teil:
Eine Frage an Sie, draußen im Auto, im Wohnzimmer oder jedweden Raumes um ein Rundfunkgerät drumherum: Wissen Sie, was ein oviparer Baum ist?
Oma erklärt es ihren beiden jungen Zuhörerinnen - und Ihnen nebenbei gleich gratis mit.
Miriam: Laß mal eben gucken, Oma - was steht da? Herr und Frau Ginkgo - wie hieß denn
die Frau Ginkgo früher, bevor der Herr Ginkgo sie geheiratet hat?
Miri - sei jetzt nicht albern. Es gibt auch andere Bäume und Pflanzen, wo männliche undweibliche Blütenstände getrennt sind - da ist der Ginkgobaum nichts Besonderes. Und doch unterscheidet er sich sehr von unseren Obstbäumen.
Melissa: Ja, klar, du hast doch gesagt, er hat keine eßbaren Früchte.
Na prima hast du das behalten. Was am Ginkgobaum keimt und wächst, das ist wirklich kein Obst, das sind nur die neuen Triebe für die kleinen Ginkgobäume.
Melissa: Also kriegt der Ginkgo doch Babies - bäh Miri - siehst du, ich hab recht!
Miriam: Quatsch, wie soll das denn gehen? Meinst du, die Ginkgo-Babies fallen im Herbst
vom Baum, und machen Uähh. uähh, ich bin geboren! Wo ist meine Mama, ich will
Milch trinken!

Ihr seid mir zwei! Aber so ganz unrecht hat Lissi nicht. Es fallen zwar keine fertigen Ginkgobaby-Bäume von den Ästen, aber aus den pelzigen, weichen Bällchen wachsen doch ziemlich schnell die schlanken Keime heraus, die sich in den Boden graben. Und wenn es da, wo sie hingefallen sind, nichts Gutes zu essen gibt für die empfindlichen Pflänzchen, dann sterben sie ab und vorbei ist es mit dem Ginkgo-Baby. Diese Art der Vermehrung nennen die Wissenschaftler ovipare Bäume, weil sie sich nicht so ohne weiteres einordnen lassen in die normalen Pflanzengruppen.
Miriam: Das ist aber blöd! Warum bleiben die Keime denn nicht so lange in dem Bällchen
drin, bis sie irgendwo ausgesät werden, wo sie genug Nahrung finden? Wir
haben in der Klasse mal Weizenkörner keimen lassen, da kam auch so ein langer
Faden raus. Dann haben wir Erde in einen Blumentopf getan und das Korn mit
dem Faden da rein gepflanzt. Und unsere Lehrerin hat gesagt:Das kommt nur
wegen der Feuchtigkeit; wenn nämlich das Korn trocken liegen kann, dann fängt
es auch nicht an zu keimen, und manche Körner liegen sogar hundert Jahre
irgendwo bis sie im Wasser oder in der Erde anfangen zu keimen und zu
wachsen.
Miri, das find ich toll! Besser hätt ich das bestimmt auch nicht erklären können. Also, da genau liegt der Unterschied der anderen Samen zu denen vom Ginkgobaum. Hier könnt ihr sehen, wie die weiblichen Blüten geformt sind. Ein männlicher Pollenschlauch, der mit dem Wind angeflogen kommt, verfängt sich in einem klebrigen Tropfen am Eingang der weiblichen Samenanlage und rutscht dann durch einen engen Gang in die Mitte dieser kleinen Kugel. Das Pollenkorn wird aus dem länglichen Staubbeutel herausgeschleudert und befruchtet die Eizelle. In der weichen Kugel verändern sich die Samenteile dann fast genauso wie in einem Hühnerei, worin ein Küken anfängt zu wachsen. Aber natürlich nur bis zu einem bestimmten Punkt, weil der Ginkgo ja nicht zu den Tieren gehört, sondern zu den Pflanzen. Und diese Keime wachsen eben weiter, ob sie trocken liegen oder feucht, auch genauso wie es bei Tieren wäre. Und wenn, wie gesagt, nichts zu futtern da ist, sterben sie.
Melissa: Vielleicht sind ja früher die Tiere und die Menschenbabies auch auf Bäumen
gewachsen.
Na, Lissi, das mußte ja jetzt nicht sein, das weißt du doch schon viel besser. Nur - es könnte immerhin sein, daß es früher noch viel mehr Arten Bäume und andere Pflanzen gab, die so eine tierähnliche Fortpflanzung hatten. Und weil es einmal eine Zeit gab, wo sogar Löwen Vegetarier waren,das heißt, sie haben nur Grünzeug gefressen,- da bekamen sie durch solche Samenfrüchte sicher alle Nährstoffe und Lebensbausteine, die sie brauchten. Das wär doch mal interessant, zu erforschen.
Melissa: Bäume erforschen - so was Langweiliges ! Oma, wieso war eigentlich auf der
großen Arzneiflasche von Opa auch ein Bild von diesen Entenfuß-Ginkgoblättern
drauf?
Ach, ich denk Bäume erforschen ist langweilig? Wieso weißt du eigentlich noch so genau,
welche Blätter auf Opas Arzneiflasche abgebildet waren? Hast du etwa heimlich davon genascht?
Melissa: Ganz, ganz bestimmt nicht, Oma! Ich hab nur zugeguckt, wenn Opa aus der
Flasche getrunken hat. Medizin schmeckt doch eigentlich scheußlich, aber Opa
hat immer einen großen Schluck genommen und sich danach die Lippen geleckt .
Ja, ich weiß. Das lag aber nicht an dem, was vom Ginkgobaum in der Arznei war. Ich kann euch ja mal das Wichtigste vorlesen, was die Ginkgoblätter alles können: Jedenfalls steht es hier in dem Buch geschrieben:
In China nahmen die Ärzte die Blätter als Wundpflaster und als Tee gegen Husten und Asthma, sogar gegen Lungentuberkulose. Zu Brei verkocht, halfen die Blätter gegen Frostbeulen. Aber auch in anderen Ländern entdeckten die Chemiker, daß in den Blättern Wirkstoffe sind, die den Körper fit halten. Der Extrakt aus Ginkgoblättern fördert jedenfalls die Gehirndurchblutung, deshalb hat Opa sie eingenommen, weil besonders bei alten Menschen das Blut oft Schwierigkeiten hat, durch die Adern zu fließen. Es gibt sogar Leute, die behaupten, daß Menschen zweitausend Jahre alt werden könnten, wenn die Blätter richtig verwendet würden, aber das halt ich doch für ein Märchen, obwohl sogar ernsthafte Wissenschaftler hoffen, das Leben wenigstens ein paar hundert Jahre verlängern zu können, wenn erst alles erforscht ist, welche Wirkstoffe der Ginkgo alles in sich trägt.Na. das erleben wir bestimmt nicht mehr. Aber der Ginkgo ist schon ein erstaunliches Ding. Und ihr werdet ihn sicher in den nächsten Jahren viel öfter sehen und das aus einem praktischen, sehr, sehr nötigen Grund.
Miriam: Augenblick, Oma, erzähl noch nicht weiter, ich muß mal eben eine überflüssige
Sache erledigen