Ursula Hellmann Scharweg 6 42799 Leichlingen, Tel.02174/792727 12.10.97
SPRECHSPIEL EPIPHANIAS
Personen: Erzähler, Cyrus, Onkel, 1. Sterndeuter, 2. Sterndeuter, 3. Sterndeuter
Ein leiser Wind bewegt die dünnen Vorhänge. Der Kranke berührt mit einem Finger den Arm des jungen Mannes, der an seinem Bett sitzt. Cyrus nimmt die Karaffe vom Tisch, füllt hellroten Wein in ein Glas und hält es seinem Onkel an den Mund. "Es ist genug," sagt der Alte leise, und Cyrus stellt das Glas wieder ab.
"Onkel, wenn es Dich anstrengt zu reden, dann komm ich morgen wieder!" "Nein, ich muß jetzt reden - morgen... vielleicht.." Seit drei Tagen hört Cyrus seinem Onkel zu, und er würde es sehr bedauern, das Ende dieser ungewöhnlichen Lebensgeschichte zu verpassen. Neben dem Glas, auf dem reich mit Schnitzwerk versehenen Tisch, liegen schon viele beschriebene Tontafeln und Papyrusstreifen. Cyrus ist sich sicher, daß der Bericht, den sein Onkel ihm gibt, stockend und immer wieder von Atemnot unterbrochen, zu wichtig ist, um nur für ihn bestimmt zu sein.
Zwei Jahre hat er seinem Onkel assistiert und seine Aufzeichnungen verwaltet - so vieles möchte er noch von ihm lernen. Was soll werden, wenn er in kurzer Zeit allein ist mit all den jahrhundertealten Symbolen und Erkenntnissen, die der Onkel im Lauf der Gestirne gesehen hat?
Das Gesicht in den Kissen aus besticktem Seidenstoff sieht müde aus. Aber in den Augen brennt eine große Unruhe.
"Cyrus, habe ich schon von dem Tag gesprochen, als die Planeten im Osten zusammenstanden? Als Jupiter und Saturn ihr Licht ineinanderwoben und stillstanden, und..." Der Neffe weiß, wovon sein Onkel spricht und kennt die Bedeutung dieser beiden Sterne genau. Jupiter ist das Licht der Könige und Saturn ist mit dem Schicksal des Volkes Israel fest verbunden.
"Ja, Onkel, ich hab es gelesen. Du hast schon damals, vor fünfunddreißig Jahren, alles minutiös festgehalten und so geordnet, daß sogar ich es verstehen kann. Sag: ist so ein Ereignis am Himmel wirklich nur einmal in Deinem Leben vorgekommen?"
"In meinen Leben..., ja. Die Sterne haben ihren Lauf, sie sind älter und weiser als wir, weil es die Götter sind, die sich der Sterne bedienen, um zu uns zu reden. Solange es Menschen gibt, haben sie die Sterne beobachtet und ihr Wissen den nächsten Generationen weitergegeben. Aber nur wenige Sternforscher werden so beschenkt wie ich vor vielen Jahren, nur wenige -"
Cyrus nickt. Einige der Sternkundigen, die damals mit seinem Onkel gereist sind,leben noch. Auch sie haben diese wundersame Planetenstellung zu deuten gewußt. Ihre Namen sind in den Schriften des Onkels festgehalten, sogar die Art der Geschenke, die sie dem angekündigten Herrschersohn mitbrachten.
"Du mußt wissen, es ist noch nicht so lange her, daß u n s e r Volk und das kleine Volk der Israeliten sehr enge Beziehungen hatten."
Cyrus lächelt, als er die Ironie in den Worten des Onkels versteht. Schließlich hat er mit dem jetzt Todkranken zusammen oft über den alten Geschichtstafeln gesessen und sich abgemüht, all die Namen d e r Herrscher auswendig zu lernen, die aus dem alten Mesopotamien Richtung Mittelmeer zogen, um die fruchtbare Jordanebene ihrem Reich einzuverleiben. Bruderkriege, Vergeltungshinrichtungen, Verräter im eigenen Volk und in den Reihen der israelitischen Stämme -das waren jahrhundertelang ihre "engen Beziehungen". Erst die Heere der neuen Kaiser aus Rom hatten diesem Hin- und Her vor einigen Jahrzehnten ein Ende gemacht. Seitdem war aber auch das Gebiet am unteren Euphrat den Römern tributpflichtig. Cyrus kennt es nicht anders, sein Onkel aber fand sich nur schwer damit ab. Ob das wohl einer der Gründe war, die ihn in seinen jungen Jahren trieben, eine beschwerliche Reise nach Jerusalem anzutreten?
Auch ein kleines Volk wie die Israeliten konnte eventuell als militärischer Beistand sehr von Nutzen sein, wenn es von den Göttern in solch hohem Maß bevorzugt wurde.
Viele Jahrhunderte lang hatte es nicht so ausgesehen, als würden sich diese Stammesverbände einmal zu einer Weltmacht entwickeln, schließlich waren sie öfter unter fremde Besatzung geraten oder in alle Welt verstreut worden, als daß sie ein stabiles Staatssystem bildeten. Aber - die Botschaft der Sterne war eindeutig gewesen, also hatten die Götter mit diesem unverwüstlichen Volk noch etwas Besonderes vor.
Nur wann? Das fragte sich Cyrus - und das hatte sich wohl auch sein gelehrter Onkel spätestens seit dem Tage gefragt, als er nach Monaten anstrengender Reise wieder zu seinen komplizierten Berechnungen zurückkehrte.
Cyrus fragt leise: "Was ist aus dem neugeborenen König geworden?" Eine Weile bleibt es still in dem schon dämmrigen Raum. Die runzlige Hand auf der Bettdecke zittert leicht.
"Dreißig Jahre sind vergangen," flüstert der Onkel, "dreißig Jahre -oder mehr?" Die Sterne - die Sterne haben uns genarrt - die Götter lachen über uns. Cyrus! Wirf alle Tafeln fort, zerreiß alle Papyrie! Es ist Blendwerk, Teufelswerk - Lüge -" Ein trockener Husten schüttelt den Körper, er dreht sich zur Seite und atmet schwer. "Geh jetzt, geh - ich will nicht mehr..!"
Cyrus wagt nicht, seinen Onkel zu berühren, er geht hinaus. Über ihm flammen tausende goldene Lichter auf dem dunkelblauen Samt der Nacht. Sie bilden Figuren, sie erzählen ihm Geschichten, sie bieten ihm Weisung - ist wirklich alles Lüge, alles Täuschung? Morgen wird er weiter in den Aufzeichnungen des Onkels lesen. Vielleicht findet er die Stücke wieder, auf denen Namen und Herkunft der Magier geschrieben stehen, die lange vor seiner Zeit auch den Spuren des großen Sterns, der Königszeichens, gefolgt sind.