Tassilo ritt so schnell wie möglich nach Lindeneck zurück, wo man mit den Hochzeitsfeierlichkeiten noch bis zu seiner Rückkehr gewartet hatte. Nun waren alle gespannt auf seinen Bericht. Und Tassilo erzählte alles, was sich im Lindenhain zugetragen hatte. Er tröstete Elfi mit den letzten Worten der Elfenkönigin, als immer wieder Tränen ihre schönen Augen schwimmen lassen wollten. Zart und behutsam küßte er sie fort und nahm sich vor, seiner süßen, jungen Frau, die an ihrem Hochzeitstag, der ja eigentlich der schönste Tag ihres Lebens hätte werden sollen, soviel Tränen vergossen hatte - in Zukunft alles fernzuhalten, was sie bekümmern und traurig machen könnte.
Sein innigster Wunsch war, sie glücklich zu machen, und er war gewiß, mit der ihm von der Elfenkönigin für Elfi übertragenen Liebe und seiner eigenen,unendlich großen - da würde er es schaffen.
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Kap. 9

Der Elfenbaum
Elfi und Tassilo wurden das glücklichste Paar unter der Sonne. Sie liebten sich inniglich, und im Laufe der Jahre konnten sie viele liebreizende Töchter, von denen die jüngste Elfis wunderschönes, silberblondes Haar und ihr blauen Augen geerbt hatte, ihr eigen nennen. Auch ein kleiner, braunlockiger Stammhalter kam ins Haus.
Oft ritten alle miteinander zum Lindenhain hinaus und setzten sich in den Schatten des Elfenbaumes. Und wenn Tassilo dann seine goldene Harfe erklingen ließ, und die Töne emporgetragen wurden bis in den höchsten Wipfel des Lindenbaumes, dann war es ihnen, als würde er leicht seine Zweige bewegen und seine Blättchen nach den melodischen Klängen der Harfe auf und nieder gleiten lassen, als würden sie sich im Tanze wiegen.
Tassilo pflegte den Baum mit großer Liebe, er wuchs und wuchs und wurde der schönste Lindenbaum im ganzen Hain. Die Bewohner der umliegenden Orte, die Tassilo so oft mit dem Baum beschäftigt sahen, nannten sie nur noch die "Tassilo-Linde".
Der Baum überdauerte alle -Tassilo, Elfi, ihre Kinder, Enkel und Urenkel, Katastrophen, Unwetter und große, schreckliche Kriege, die das Land zerstörten und verwüsteten und denen Millionen Menschen zum Opfer fielen. Der Baum überdauerte Jahrhunderte um Jahrhunderte, und es braucht nur noch eine kurze Zeit, dann werden tausend Jahre seit seinem Entstehen vergangen sein. Aber er grünt und blüht noch immer wie eh und je, ja, er treibt sogar jährlich neu.
Viele Menschen aus allen Teilen des Landes kommen nach Wessobrunn, um den Wunderbaum zu sehen, den Baum, der wie ein lebendig gewordener Traum aus längst vergangenen Zeiten zu ihnen zu sprechen scheint. Aus Zeiten, in denen es Wesen gab, die man heute nicht mehr kennt, von denen nur noch die alten Sagen und Märchen erzählen. Und die Menschen stehen staunen vor dem uralten Lindenbaum, fotografieren ihn oder kaufen Ansichtskarten und nehmen sie mit nach Hause.
Aber niemand ahnt, daß vor uralten Zeiten einmal fünf wunderschöne Elfen lebten, die aus Liebe zu einem Menschenkind ihr Leben lassen mußten und deren letzter Wunsch es war, für immer zusammenzubleiben und aus dem Schoß der gütigen Mutter Erde heraus als L i n d e n b a u m weiterleben dürfen.

INHALT
Die Kleine Komtess und ihre Umgebung
Verlobt
Der Spinnenkönig
Im Finsterwald
Im Lindenhain
Vergebliches Suchen und d.Ende des Spinnenreichs
Im Elfenreich
Ewigkeitsgedanken
Die Hochzeit
Der Elfenbaum