Kap. 7
Ewigkeitsgedanken
Die Freude, die auf Schloß Lindeneck bei der Ankunft Elfis herrschte, ist nicht zu beschreiben. Nicht nur die Eltern waren überglücklich, ihr geliebtes Kind nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen zu dürfen, das ganze Personal und die Dienerschaft eilten mit strahlenden Gesichtern und mit Blumen herbei, um Elfi willkommen zu heißen. Die Jagdhunde und das kleine Kätzchen, das Elfi eimal geschenkt bekommen hatte, kamen angelaufen und bellten und miauten vor Freude um die Wette, und aus den Stallungen, wo Elfis schöne, weiße Stute schon so lange auf ihre Reiterin wartete, ertönte helles, freudiges Wiehern.
Alles wurde für die Hochzeit vorbereitet, die nun im Juni stattfinden sollte. Tassilos Eltern, seine älteren Brüder und viele, viele Gäste wurden eingeladen. Es sollte das schönste Hochzeitsfest werden, das Lindeneck jemans erlebt hatte.
Tassilo und Elfi waren glücklich. Aber sie vergaßen auch die Elfen nicht. In der ersten schönen Vollmondnacht ritten sie hinaus zu ihnen auf die leichte Lichtung im Lindenhain und verkündeten strahlend den Tag ihrer Hochzeit. Wie gern hätten sie die Elfen dabeigehabt. Aber Elfen sind nun einmal Wesen, die eher der Nacht angehören und die die Menschen scheuen. Das wußten auch Elfi und Tassilo. Und die Elfenkönigin erklärte ihnen weiter, daß zu hohe und auch zu niedrige Temperaturen ihnen großen Schaden zufügen könnten, darum lebten sie auch in der stets gleichbleibenden Wärme ihres unterirdischen Reichs und wagten sich nur in den lauen Vollmondnächten hinaus in Freie. Die Sonnenstrahlen, die so wunderschön anzusehen wären, würden die Elfen dahinschmelzen lassen, sie würden schmerzlos vergeben, aber dann durch die Urkraft der gütigen Mutter Erde aus ihrem Schoß heraus im selbem Moment zu neuem Leben erwachen, zu einem Leben, das
sie sich vorher wünschen dürften, sei es als Blumen, Sträucher oder Bäume.
Und weil die Elfen kleine Wesen wären, so hätten sie eigentlich bisher immer den Wunsch gehabt, im zweiten Leben größer zu sein und möglichst so groß zu werden, daß sie einmal richtig den Himmel sehen könnten. Des nachts im reinen Glanz Millionen funkelnder Sterne und bei Tag in seiner herrlichen Bläue, vergoldet von den Strahlen der ewigen Sonne, die ihnen dann nicht mehr schaden würden. Sie würde sie dann wärmen, beglücken und wachsen lassen. All die schönen Bäume im Lindenhain wären entstanden aus den Wünschen der zu neuem Leben erwachten Elfen. So würde es dereinst auch mit ihnen allen werden.
Kap. 8
Die Hochzeit
Nun war es so weit. Der Hochzeitstag des jungen Paares brach an, und daß mit solcher Schönheit, als wolle die ganze Natur mitfeiern. Die Sonne schien, die Vögel sangen, die Blumen blühten und dufteten. Es war eine Pracht.
Die Trauung fand in der unweit des Lindenhaines gelegenen Kapelle statt, die zu den Lindeneckschen Besitzungen gehörte. Elfi war die schönste Braut, die es auf Lindeneck je gegeben hatte. Sie trug das lange, silberblonde Haar aufgesteckt und zu einem schimmernden Krönchen frisiert, in das smaragdgrün schillernden Perlen -ein Geschenk der Elfenkönigin- kunstvoll eingeflochten waren. Ein kostbarer Schleier aus allerfeinster iatlienischer Spitze, der von dem Krönchen gehalten wurde, fiel zart über das weiße, mit den gleichen Perlen besetzte Tüllkleid herab, das ihren zarten Körper gleich einer duftigen Wolke umhüllte und ihr mehr denn je aus Aussehen einer Elfe verlieh.
Ja, die Elfen. An sie mußte Elfi bei der Heimfahrt nach Lindeneck denken, als sie mit Tassilo in der wunderschön mit weißen und grünen Seidenpolstern ausgeschlagenen Brautkutsche an dem von flimmerndem Sonnenlicht übersprühten Lindenhain vorbeifuhr.
Was wäre geworden, hätte der Hirtengott sie vor einem Jahr nicht gefunden und der Elfenkönigin gebracht, die sie so gütig aufgenommen und mit ihren Töchtern so liebevoll gepflegt hatte?
Und Tassilo? Er würde sie nie gefunden haben, wenn nicht die Klänge seiner Harfe die Elfenkönigin veranlaßt hätten, ihn in ihr unterirdisches Reich holen zu lassen.
Liebevoll ergriff Elfi Tassilos Hand und blickte ihm in die Augen. Sie verstanden sich, denn beide schauten dann glücklich und dankerfüllt in die Richtung des alten Lindenbaumes, der den Eingang zum Elfenreich verbarg, und
den man vom Fahrweg aus gut sehen konnte. Und wie sie ihn so ansahen, war es ihnen, als ginge ein Leuchten aus vom Fuße des alten Baumes, das je nach Sonneneinfall mal silbern, mal golden erschien. Und das Leuchten löste sich von dem Baum und schien in gleicher Höhe mit ihnen durch den Lindenhain zu wandern, sie begleiten zu wollen. Dann plötzlich verhielt es auf der kleinen Anhöhe hinter der Waldlichtung, schien weiter hervorzutreten und zu wachsen. -
Da sahen sie es genau: was sie zuerst für eine Sonnenspiegelung gehalten hatten, war ganz etwas anderes, viel Näherliegendes. Es war das im strahlenden Sonnenlicht gleißende Haar der vier Elfenprinzessinnen, die vom Eingang der alten Linde her den Kutschen durch den Wand hindurch bis zu der lichten Anhöhe gefolgt und nun für einen kurzen Moment licht- und sonnenumflossen auf dem Hügel zu erkennen waren. Lachend winkten sie ihnen zu. Dann war das Leuchten verschwunden. Sie mußten dort oben irgendwo im Schatten untergetaucht sein.
Schreck und Angst um die treuen, lieben und doch so unerfahrenen jungen Elfen ließ Tassilos Herz sich verkrampfen, und Elfis Augen füllten sich mit Tränen, denen sie nicht Einhalt gebieten konnte. Schluchzend barg sie ihr Köpfchen an Tassilos Schulter. Wenn die Elfen nicht ganz schnell wieder nach Hause finden würden, waren sie in der großen Mittagshitze verloren. Schon jetzt würden die intensiven Sonnenstrahlen diesen äherischen Wesen bereits mehr zugesetzt haben, als sie im Moment merken würden. Hier tat schnelle Hilfe not. Es waren nur noch wenige Meter bis Lindeneck zu fahren. Dort angekommen, schwang sich Tassilo auf seinen Rotfuchs und jagte in fliegendem Galopp zurück zum Lindenhain.
Dort fand er sie, eng umschlungen neben einem Rosenstrauch, am Fuß der kleinen Anhöhe.... zusammen mit ihrer Mutter, der Elfenkönigin. Sie erschienen ihm alle kleiner und ätherischer, aber so schön, wie nie zuvor.
Die Elfenkönigin sprach zu ihm: "Tassilo, du bist ein
guter Mensch, aber du kannst uns nicht mehr helfen. Die alte Prophezeiung, in der es heißt, daß eine große Liebe zu einem Menschenkind mich würde meine Töchter verlieren lassen, wird sich nun erfüllen. Als mir der Hirtengott deine Elfi brachte, kam mir das Orakel unwillkürlich in den Sinn und mein Innerstes sträubte sich, Elfi aufzunehmen. Aber dann sah ich sie vor mir liegen, so hilflos und unschuldig und meinen eigenen Töchtern fast zum Verwechseln ähnlich, als wäre sie mein eigenes Kind. Da überkam mich eine große Liebe zu dem jungen Menschenkind, eine Liebe, die alle Bedenken von den Wogen des Meeres des Vergessens hinwegspülen ließ, so daß sie nicht mehr fähig waren, meinen Geist zu erreichen, und so behielt ich die Kleine bei mir.
Ich hatte meinen Töchtern auf ihr inständiges Bitten hin erlaubt, die Stufen zum Eingang der alten Linde hinaufzusteigen und, wenn sie das Geräusch fahrender Kutschen wahrnehmen würden, durch das die Linde umgebende Efeugerank hindurchzuschauen, um sich von dort aus den Hochzeitszug mit der Brautkutsche anzusehen. Aber sie kamen nicht zurück. Und plötzlich war es mir, als umklammere eine eiskalte Hand mein Herz, und eine dröhnende Stimme, die aus meinem Innern kam, rief mir die Worte der alten Weissagung wieder ins Gedächtnis. Da verließ ich fluchtartig das Elfenreich, bahnte mir dirch das noch auseinandergebogene Efeugerank den Weg ins Freie und suchte meine Kinder. Hier nun habe ich sie gefunden, glücklich und selig, euch beide an euren Hochzeitstag von ferne gesehen zu haben, und Elfi, angetan mit dem schönsten Hochzeitsschmuck, von dem eine Frau nur träumen kann, mit den kostbaren Perlen des Elfenreichs. Sie konnten dem Zug ihres Herzens nicht widerstehen. Sie haben euch aus der Ferne von der alten Linde bis
hierher zu der kleinen Anhöhe begleitet. Das Laufen auf dem weichen Waldboden, durch ein Meer von Sonnenstrahlen, die ihnen bisher unbekannt waren, machte sie froh und übermütig, und als sie von der Anhöhe her noch einmal euch zuwinkten, eingehüllt und umflossen vom ewigstrahlenden Gold der Sonne, da fühlten sie sich so schwerelos, leicht und frei wie die Vögel, und in einem Glücksgefühl ohnegleichen, wie es ein Elfenherz nur ganz selten einmal erleben kann, sanken sie hier auf dem weichen Moosboden neben dem blühenden Rosenstrauch nieder. Die Sonne, die ihnen für kurze Zeit das höchste Glück bescherte, wird ihnen nun ihre Kraft nehmen, auch mir -denn ich bin, um sie zu finden, den gleichen Weg gegangen wie sie. Hätte ich es nicht getan, hätte sich die alte Weissagung voll erfüllt. Ich hätte meine Töchter verloren. Aber die alte Prophezeiung hat nicht mit der Mutterliebe gerechnet. Meine Kinder würde ich nie verlassen. Wir werden zusammenbleiben bis die allgütige Mutter Erde uns zu sich rufen wird - und das wird bald sein. Gemeinsam werden wir in die Verwandlung gehen, aus der wir - so haben wir es uns gewünscht - als lichte, helle Lindenbäume erstehen, wachsen und blühen werden, den Himmel, die Sonne, den Mond und die Sterne schauen können -Sommer und Winter, Jahr um Jahr, Jahrhunderte um Jahrhunderte.
Und nun, Tassilo, wollen wir Abschied nehmen voneinander. Sieh, meine Lieblinge, sie werden immer schwächer und müder, und auch meine Kraft geht allmählich zuende. Schn höre ich aus der Tiefe die warme Stimme unserer gütigen Mutter Erde, die nach uns ruft. Und dem Ruf müssen wir folgen.
Leb wohl, grüße Elfi, mein geliebten fünftes Töchterchen, von uns. Alle Liebe, die ich für sie empfinde, und die ich ihr in diesem Leben nicht mehr schenken kann, übertrage ich auf dich. Gib sie Elfi weiter, hülle sie darin ein wie in einen Mantel, zusammen mit der deinen, auf daß ihr glücklich sein werdet euer Leben lang.
Seid nicht traurig, daß wir von euch gehen müssen. Ich bin
gewiß, nach unserer Verwandlung wird auch unser zweites
Leben schön werden. Wir werden nicht nur die laue Sommernacht, sondern auch den hellen Tag erleben dürfen, und das goldene Sonnenlicht, dessen Schönheit und Wärme zu empfinden uns heute nur für so kurze Zeit beschieden war, und für das wir mit unserem Elfenleben bezahlen müssen, als köstliche Himmelsgabe in Lust, Freude und Glückseligkeit von nun an empfangen dürfen.
Spürst du den Windhauch, Tassilo, der auf einmal leise über die Anhöhe streicht und die Glöckchen der vielen, blauen Glockenblumen silberhell erklingen läßt? Hörst du von weit her die wunderschöne Tanzmusik der Flöte des Hirtengottes? Nach ihr wollen wir uns noch einmal im Reigen wiegen, meine Töchter und ich, und den Tanz tanzen, mit dem wir in jedem Jahr Abschied genommen haben vom Lindenhain, bevor die Herbststürme über ihn hinwegbrausten, der Frost die Natur erstarren ließ und ein dichter, weißer Mantel die schlafende Erde einhüllte."
Liebevoll zog die Elfenkönigin ihre Töchter zu sich empor. Noch einmal umarmten sie sich zärtlich, dann faßten sie sich bei den Händen und begannen den Reigen. Sie wiegten und drehten sich nach den lieblichen Klängen der Panflöte, schwebten voneinander weg und wieder aufeinander zu, umflossen vom goldenen Glanz der Sonne. Sie wirkten wie zartbunte Schmetterlinge, die der Wind auf leichten Schwingen hin und her, und auf und nieder schweben ließ.
Dann wurden ihre Bewegungen matter, und auch die Panflöte klang leiser, entfernter, als wolle sie sich verabschieden. Nun war es still. Langsam, sich noch im Reigen bei den Händen haltend, sanken die Elfen zur Erde nieder, und -ehe es Tassilo recht begriffen hatte - waren sie verschwunden.
An der Stelle aber, an der er sie zuletzt gesehen hatte, wuchs aus dem Erdboden ein wundeschöner Lindenbaum empor, ein
Lindenbaum, wie Tassilo ihn noch nie gesehen hatte. Er schien aus fünf einzelnen Bäumen zu bestehen, die sich im Stamm zu einem einzigen Baum vereinigt hatten. Und im Emporwachsen neigten sich die einzelnen Bäume leicht nach hinten, ihre Zweige umschlangen sich gegenseitig, so, als wollten sie sich miteinander im Reigen wiegen, in der gleichen Art, wie es gerade noch die Elfen getan hatten. Leise rauschten die Blätter im Wind, und es erschien Tassilo, als ob die anderen Bäume im Lindenhain leicht ihre Zweige senken würden, als wollten sie die Neuankömmlinge ehrerbietig grüßen.
Das zweite Leben der Elfenkönigin und ihrer Töchter hatte begonnen.