Ein "stilles" Winterwochenende
K.V. Meier ist ein Familienbetrieb. Vater, Mutter, sowie Junior Meier bieten ihren Kunden einen Lieferservice, der sich sehen lassen kann. Daß das Geschäft läuft und der Umsatz rollt, verdankt K.V. Meier in der Hauptsache drei kampferprobten VW-Bussen. Zwei dieser Veteranen sind ständig mit einem kompletten Warensortiment beladen. Damit fährt je einer der Herren Meier tagtäglich durch die umliegenden Städte zwecks Kundenbesuch. Der dritte Bus in der Runde hält sich bereit, wenn es heißt: eben schnell einmal 50 km -oder mehr- zu flitzen, um die Lagervorräte aufzufüllen. Zum Team gehört dann noch ein Kombi-Wagen.
Trotz guter Pflege tat nun an einem Winterwochenende im Jahre 1981 besagter dritter Bus seinen letzten Schnaufer. Ein "Kuraufenthalt" in einer guten Werkstatt wäre K.V. Meier viel teurer gekommen als ein Ersatzfahrzeug. So wurde beschlossen, den Samstag zu nutzen und einen Nachfolger zu suchen.
In allen erreichbaren Zeitungen wurden die kleingedruckten Anzeigenspalten durchforstet. Das Telefon lief heiß. Nach einigen Stunden hatten sich drei Adressen herauskristallisiert. Ob wohl einer der gebrauchten Busse auch brauchbar war? Die gesamte Belegschaft fuhr los und kam tatsächlich mit einem der angebotenen Fahrzeuge nach Hause.
Am Montag sollten nun erstens der ausrangierte Bus abgemeldet und zweitens der neuerworbene angemeldet werden. Dies ist an sich kein großer Aufwand. Beim Straßenverkehrsamt gibt es Formulare. Alle Angaben eingetragen und etwas Geld
dagelassen - und schon ist die Sache geregelt.
Zu eben diesem Zweck stand Mutter Meier dann am Schalter. Die Anmeldung hatte sie bereits perfekt ausgefüllt. Das Abmeldeformular lag vor ihr. Die Daten sind den Fahrzeugpapieren zu entnehmen. Aber - wo waren diese? Zuhause auf dem Tisch. Also keine Abmeldung an diesem Morgen - und nachmittags ist das Amt geschlossen.
Mittags kam die Tochter von Meiers von der Arbeit. Sie tröstete die Mutter: "Halb so schlimm, dann können wir morgen in einem Aufwasch auch meine Sache erledigen. Den Kraftfahrzeugbrief für den "Floh" - so hieß ihr gerade günstig erstandener Kleinwagen- den habe ich heute bekommen!"
Sie holte den Schein aus der Tasche. "Ach, so ein Unsinn! Jetzt hat Frau Münz den Wagen doch stillegen lassen! Ich hatte sie extra gebeten, meine Ummeldung abzuwarten! Und womit soll ich jetzt morgen zum Amt fahren? Mein alter Citroen steht ja noch immer bei Schultes auf dem Hof! Bei diesem Glatteis kriege ich ihn nicht abgeschleppt, und wie sollte er auch fahren mit dem Kolbenfresser? Ich hatte mich so auf den "Floh" verlassen!"
"Wir wollen doch zusammen zum Amt, Liebes," erinnerte sie die Mutter, "dann fahren wir mit unserem Kombi."
Dienstagmorgen. "Wo sind die Nummernschilder von unserem alten Bus, Anke?" "Die habe ich auf das Dach vom Kombi gelegt." Das war praktisch. Da brauchte Mutter Meier sie nur zu nehmen und zu den Wagenpapieren zu legen. Zwei Kilometer weiter wunderte sie sich, wie freundlich die überholenden Autofahrer grüßten. An einer roten Ampel stieg sogar ein junger Mann aus und lief zu Meiers Wagen. "Ihnen
ist etwas vom Dach gefallen, so was Längliches, Flaches!" Mutter wurde blaß, bedankte sich und wendete in der nächsten Einfahrt. Eines der Nummernschilder lag im Rinnstein, halb vom Schnee verdeckt, das andere war und blieb unauffindbar. Na ja, die Dame vom Amt würde das verstehen.
Mutter und Tochter Meier hatten gewissenhaft alle Formulare ausgefüllt. Die junge Frau hinter dem Schalter schaute trotzdem ernst drein. "Wo ist das zweite Nummernschild?" Kurze, präzise Schilderung des Verlustes. "Tut mir leid, dann muß Ihr Mann als Fahrzeughalter persönlich kommen und eine Verlustanzeige unterschreiben. So kann ich die Abmeldung nicht durchgehen lassen.
"Na ja, es hat keine Eile," sprach Frau Meier zu sich selbst. "Wenn Karl-Viktor am Freitag vor seiner Tour hierher fährt, die Sache zu regeln, kommt alles zu einem guten Ende."
Der Freitag kam und krönte die Woche. Erstens mußte Vater Meier unverhofft noch mehr Kunden beliefern als sonst, da wurde die Zeit für die "Amts"-handlung knapp. Meier Junior war für diesen Tag als Trauzeuge zu seinem Freund eingeladen - eine gute Autostunde entfernt. Seit sieben Uhr morgens versuchte er, sich in einen eleganten Herrn zu verwandeln. "Mutter, wo ist die dunkle Fliege? Wo ist mein Gürtel? Kann ich diese Schuhe anziehen?" Zu der Feier wollte er mit dem Kombiwagen fahren. Der hatte aber keine Lust, anzuspringen. Kein Wunder, bei zehn Grad unter Null! Mit sechs kräftigen Armen wurde der alte, kalte Kombi aus der Neben- auf die Hauptstraße "ver"schoben. Noch fehlte ein Ruck über die letzte Steigung, da gab es ein seltsames Geräusch. Die gute schwarze Hose von Meier Junior war den Anstrengungen nicht gewachsen und klaffte
hinten auseinander. Nun zuerst mal wieder ins Haus und die Nähmaschine klar gemacht. In einer Hinsicht war die Sache sogar günstig - so bemerkte der Vater, daß der Fotoapparat den Tag beinahe im Hausflur zugebracht hätte, anstatt die Hochzeit festzuhalten.
Endlich fuhr Meier Junior, mit allem versehen, um die Ecke. Einige Kunden aus seinem Bezirk schienen das irgendwie gerochen zu haben. Ausgerechnet jetzt brauchten sie unbedingt neue Ware. Weil es gute Kunden waren, blieb Mutter Meier nichts anderes übrig, als selbst zu fahren. Sie suchte die gewünschten Artikel zusammen - aber sie konnte lange suchen, die hauptsächlich verlangten Kartons waren nicht mehr am Lager. So blieb nur eine einzige Fahrt übrig, 20 km hin und zurück für eine lächerlich kleine Warenmenge. Sie zog einen Autoschlüssel nach dem anderen vom Haken - aber keiner paßte in das Zündschloß des benötigten Lieferbusses. Also -so schloß Mutter Meier messerscharf - hatte der Sohn dieses Schlüsselbund in seiner Hosentasche, und beide waren sehr weit weg. Es blieb ihr nichts übrig, als die bestellte Waren umzuladen in den dritten, den leeren Bus.
Mutter Meier nahm die Fahrzeugpapiere aus dem Fach und steckte sie in ihre Handtasche. Mit Schrecken entdeckte sie darin den Fahrzeugschein vom Kombiwagen. Wie ging das zu? Sie hatte genau gesehen, daß Meier junior eine Mappe mit Fahrzeugpapieren an sich genommen hatte. Sollten das etwa??? Natürlich waren es genau die Unterlagen gewesen, die Vater Meier in gerade eben diesem Moment zum Abmelden des alten Busses auf dem Amt dringend gebraucht hätte!
Sie war noch mit dieser neuen Komplikation gedanklich beschäftigt, als ein Auto vor der Tür hielt. Ein Herr stieg
aus und stellte sich als Vertreter der Firma Ypsilon vor. Mutter Meier raffte innerlich die gesamten, gescheiterten Tagespläne zusammen, schob sie in das Fach "Wichtig für nächste Woche" und bat den Besucher ins Büro. Was sie sonst noch dabei dachte? Nicht, was zu vermuten wäre, sondern eigentlich nur: Wie schön, daß Advent ist und bald Weihnachten!"