Die kugelrunde Isabell.
Pfui, welch ein häßliches, dickes Ding! Wer bist Du? Ein Mäd-
chen? Das dicke, kurze Ding im Spiegel nickte und schüttelte sich,daß das Glas wackelte. Es machte ein bitterböses Gesicht und streckte die Zunge heraus. Zehn dicke Finger an zwei Ar-
men, die aussahen wie Leberwürste fuhren durch die blonden, zerzausten Haare. Einen Moment stand das Spiegelbild ganz stumm und still da, schaute aus dem blanken Glas das Mäd-
chen dort im Schlafzimmer an und weinte dann viele, viele Trä-
nen.
Das Mädchen vor dem Spiegel wollte das dicke, kurze Ding trösten. Es wischte die Tränen von seinen Hängebäckchen und
sagte: "Nicht mehr weinen, du häßliche, fette Trine! Wart´´nur,
bald bist Du auch so hübsch und rosig wie ich. Du mußt nur Dein goldenes Haar schön lockig kämmen und einen Gürtel um Dein Sommerkleid binden; dann sieht es nicht mehr aus wie ein bunter Kartoffelsack! Schau, Spiegelbild, Du mußt Dir ein silber- nes Kettchen um den Hals legen und viele Ringe an Deine Bon-
bonfinger, so wie ich. Gleich sehen sie viel eleganter und schlan
ker aus.
Das Spiegelbild drehte sich hin und her, weinte noch ein biß-
chen und verschwand dann- huschdihusch- hinter dem Holzrah-
men neben der Küchentür.
Das Mädchen horchte. Niemand war in der Küche, auch im Wohnraum war es still. Nur aus dem Keller kamen Geräusche,
die Mutter fütterte die Waschmaschine. "Elisa!" rief sie. "Elisa, was machst Du?" Eigentlich wollte Elisa nicht antworten. Aber sie rief: "Nichts, Mama, gar nichts!"
Elisa öffnete die Kühlschranktür. Sofort schickten die Rauch-
schinkenscheiben ihren würzigen Geruch in den Raum. Ein paar
Milchtropfen waren sauer, weil die Butter den ganzen Tag mit ihrer größeren Erfahrung prahlte. Elisa schnupperte aber nach
etwas viel Süßerem. Sie holte die letzten beiden Stücke Butter-
creme-Torte hinter den Joghurtbechern hervor und stellte den Teller im Wohnzhimmer neben den Fernsehsessel. Sollte das Spiegelbild draußen ruhig weinen! Elisa saß gemütlich im war-
men Zimmer, ließ die Torte Löffel für Löffel auf der Zunge zer-
gehen und trank jedesmal einen großen Schluck Cola dazu, wenn Robin Hood einen Pfeil abschoß und die wunderhübsche
Lady Marian wie eine Elfe im Schloß umherging.
Am nächsten Morgen schien die Wintersonne durchs Fenster.
Elisa zog sich warm an. Die dumme Strumpfhose fing sofort wie
der Streit an. Kaum zog Elisa sie bis zur Taille hoch, kicherte sie teuflisch und rutschte wieder bis zum Po herunter.
Elisa kämpfte mit ihr wie jeden Wintermorgen. Als die Uhr halb
acht zeigte, hatte sie gegen das graue Monster mal wieder ver-
loren.
"Tschüß, dicke, blöde Nudel," sagte Elisa im Vorbeigehen.Das Das Spiegelbild hielt sich zornig an den Lederriemen seines
Schulranzens fest. O, wie schrecklich sah es aus! Diese alberne
Mütze! Wenn es den Kopf drehte auf seinem kurzen Hals, kam
das linke Ohr aus dem Mützenrand heraus wie eine vorwitzige Ratte. Dann zog das dicke, kurze Ding die Strickmütze wieder gerade und schaute verzweifelt so eben noch unter dem wacke-
ligen Rand hervor. Der hellgelbe Wollschal sah aus wie eine Schleife um ein Riesen-Osterei. "Nur weg von dem häßlichen Osterei!" dachte Elisa und lief und lief. Erst durch die große Haustür - die schlug mit lautem Knall hinter ihr zu. Dann trabte Elisa durch den frischgefallenen Schnee immer weiter der Schule zu.
Es war nicht weit, aber sie mußte sich sputen, die Pausen-
glocke schrillte schon. Was war das? Elisa blieb stehen. Etwas hatte sie überholt -etwas rundes kugeliges mit einem hellgelben Schal und braunen Stiefeln. Das Etwas rollte und rollte, an seiner Rückseite drehte sich ein Schulranzen im Kreis.
Elisa staunte. Es sieht aus wie ein großes Käserad - aber es
hat ein Gesicht! Sie beugte sich zur Seite und schaute dem rollenden Ding in die Augen. Erschrocken fiel Elisa rücklings in den Schnee! Es war das Spiegelbild!
Das Ding rollte immer geschwinder um Elisa herum. Ihr wurde ein bißchen bange. Sie nahm allen Mut zusammen und fragte: "Wo willst Du hin, dicke, dumme Trine?" Die Kugel zappelte mit den Wurstfingern und rollte durch das Schultor bis zur Treppe.
Elisa hielt beide Hände an den Mund und rief laut: "Nicht dahin,
nein! Da wohnen viele Hexen und freche Kobolde, die tun dir weh!" Aber das Spiegelbild war schon an der Treppe gelandet Das runde Roll-roll-rad klappte auseinander . Die Schulkinder liefen herbei und lachten das dicke, kurze Ding aus, wie es sich plump und umständlich den Schnee abklopfte.
"Wir dachten schon, du kommst heut nicht, fettes Monster!" sagte die rotblonde Hexe. "Und wir hatten uns schon so gefreut auf die Likör-Schokolade, die du uns gestern hoch und heilige versprochen hast. Was, Anika, du hast es doch auch gehört:
das Monster hat hinterher richtig gebettelt, daß es uns viel Scho
kolade mitbringen darf!"
Das Spiegelbild wußte nichts von solch einem Versprechen, es schaute die Hexen und Kobolde nur böse an und trat mit dem Fuß nach ihnen. "Das fette Monster wird frech, seht mal wie be-
scheuert es aussieht," spotteten Anika und Gerlinde.
Elisa schaute von weitem zu und seufzte. "Das arme Spiegelbild! Aber sie war auch froh, daß sie heute nicht zu dengierigen Hexen mußte und die dumme, fette Trine einmal erlebte, wie es war, in diese Schule zu gehen. Jetzt liefen alle die Treppe hinauf über den Flur in die Klasse. Elisa sah, wie die Kobolde das Spiegelbild schubsten und drängten. Dann war es still auf dem Schulhof.
"Nach Hause gehe ich nicht," murmelte Elisa. Sie schob mit den Stiefeln den Schnee vor sich her und warf viele Schneebäl- le über den Zaun auf die Pferdewiese. Ganz kalte Finger bekam sie davon. "Jetzt einen heißen Kakao und ein großes Stück Ku-
chen!" Elisa überlegte und überlegte. Vielleicht mache ich mir auch ein Spezial-Sandwich - zuerst leg ich Käse aufs Brot, dann eine Scheibe Schinken, dann Majonaise und noch vorher Butter aufs Brot." Der Schweiß lief ihr übers Gesicht, als sie wieder zuhause ankam. Mutter saß im Sessel und strickte. Sie schaute nicht auf. Elisa wunderte sich nicht darüber. Niemand schaute, wenn sie heimkam oder fortging, das war schon immer so.
Gong- gong schlug die Uhr im Hausflur - es war fast Mittags-
zeit. Elisa balancierte ihr Wunder-Butterbrot in ihr Zimmer und aß es in Nullkommanichts auf. Dabei mußte sie immer an das Spiegelbild denken. Wie es dem wohl ergehen würde?
Ja, wenn es so hübsch und ansehnlich wäre wie Elisa, dann wäre es keine Kunst, die Hexen und Kobolde zu besiegen, aber solch eine fette, miesepetrige Trine? Wie soll sich so ein schlabberiges Ding denn wehren, wie soll es weglaufen, wenn die Krallenhände nach ihm greifen und seine Mütze fortnehmen und seinen Ranzen über den Schnee schlittern lassen. " Ich hätte ihm doch lieber die Likörschokolade mitgeben sol-
len, die ich in meiner Schultasche habe, " ging es Elisa durch den Kopf. "Für diesen Tag wären die Hexen dann sicher zufrieden gewesen und hätten das dicke Ding vielleicht sogareinmal mitspielen lassen beim Gummitwist."
Elisas Mutter strickte immer noch und sah dabei zum Fenster hinaus. "Ach, da kommt ja Elisa endlich!" sagte sie. Elisa lief zur Tür. Niemand da. Elisa spähte vorsichtig in den Flur. Ein paar Sonnenstrahlen tanzten auf dem Garderobenspiegel. Auf Zehenspitzen ging Elisa langsam darauf zu. Das Spiegelbild lugte auch um die Ecke, es hatte schon Mantel und Mütze aus-
gezogen. Große Augen sahen Elisa an. "Na, du blödes Monster, haben sie dich ordentlich gezwickt in der Klasse? Hat die Lehre-
rin dich drangenommen? Das Spiegelbild schüttelte den Kopf und schaute sehr traurig. "Das hätte ich dir gleich sagen können," spottete Elisa. "Wenn sie mich schon nicht aufruft, wenn ich mich melde, dann dich erst recht nicht. Das hast du nun davon, wenn du mir nachrennst in diese Hexenburg. Mir können die nichts anhaben, aber so einem schrecklich häßlichen Monster wie dir!"
Das Spiegelbild wußte nicht genau, ob es laut heulen sollte oder
furchtbar zornig mit den Füßen trampeln; so tat es einfach beides. "Elisa, ist etwas los?" rief die Mutter. Elisa lief in ihr Zim-
mer und schlug die Tür zu.
Ich möchte, das Spiegelbild wäre tot!" dachte sie wütend. Warum läßt es mich nie in Ruhe? Ich hasse es, hasse es, hasse es!
Der Winter ging vorüber und die Osterglocken blühten. Eines Morgens mußte Elisa allein frühstücken, der Vater hatte Mama in der Nacht ins Krankenhaus gefahren. Am Nachmittag stand Elisa bei ihr am Bett und staunte ihr winziges Brüderchen an.
So ein niedliches Näschen, so zarte Fingerchen, Elisa hätte gerne mit ihm gespielt, er war hübscher als ihre Lieblingspuppe
Gerda."Kommst du jetzt wieder mit uns nach Hause?" fragte Elisa die Mama. "Nein, wir müssen noch siebenmal hier schlafen, dann dürfen wir hier fort." Elisa erschrak. Mama und Florian waren gefangen! In diesem Zimmer, in dem es so schrecklich roch, daß Elisa kaum atmen konnte. Zum Glück durfte sie in dieser Woche bei ihrer Oma Ticktack wohnen. Und das dumme, dicke Spiegelbild mußte bei Papa zuhause bleiben!
Oma Ticktack kochte für Elisa viele bunte Puddings. Rote, grüne, gelbe und braune - und sie nähte für Elisa einen neuen, roten Rock, weil der Knopf an ihrem grauen Faltenrock ganz hinterlistig immer weiter fortwanderte von seinem Knopfloch, wo er doch hingehörte!
Am Freitag wurde Mama von einem schicken weißen Auto nachhause gebracht. Sie hielt das Brüderchen vorsichtig im Arm
Elisa hatte nun so viel zu schauen. Florian wurde gebadet und
gewickelt. Ein nacktes Jungenbaby hatte Elisa noch nie gesehen. Mama zog ihm ein weißes Hemdchen an, das war kleiner als für Elisas Puppe. Florian strampelte und weinte. Erst ein bißchen leise und dann immer lauter, bis Elisa sich die Ohren zuhielt. "Stell dich nicht an," sagte Mutter, "hol mir lieber die Flasche aus der Küche. Elisa setzte Fuß vor Fuß. "Beeilung, junge Dame, Florian hat Hunger!" rief Mutter ärgerlich. Elisa sah zu, wie das Brüderchen trank. Wie kuschelig es in Mamas Armen lag! Elisa stand mitten im Zimmer. Ihr rechter Fuß hatte Lust, zu Mama zu gehen und sich in ihren Schoß zu schmiegen, aber ihr linker Fuß war wie angewachsen. Was war das? In ihrem Ohr flüsterte eine ganz hohe Stimme. "Elisa, komm Elisa! Hast du mich vergessen? Ich liege in deinem Geheimfach und warte schon die ganze Zeit auf dich! Komm, laß das dumme Baby, ich zaubere dir viel schönere Sachen!" Elisa drehte sich um und holte aus dem Geheimfach unter ihrem Bett eine Riesentafel Nußschokolade hervor. Sie legte sich auf ihre weichen Kissen und aß die