Der politische und der private Dietrich Bonhoeffer
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Konzipiert als Radiosendung
Personen (Sprecher): Bonhoeffer, Maria von Wedemeyer,Mark, Niko, Yvonne,Sarah
Grauer November, Buß- und Bettag, Totensonntag, Wehmut und Trauer - alle diese Worte liegen bei uns in derselben Schublade. Anstatt sie auszuleeren, die lästigen Gedanken zu entsorgen, möchten wir die Gelegenheit nutzen, Ihnen ein Mann nahezubringen, der Grund genug gehabt hätte, zu verzweifeln - und doch ganz andere Perspektiven hatte - Dietrich Bonhoeffer. Vorgestellt von Konfirmanden der evgl. Ki.Gem. L.-Witzh.
"Mark, was machst du für ein Gesicht?"
"Ach, Mist, wir haben Projektwoche, und ich wußte nicht, in welche Gruppe ich gehen wollte. Da hat der olle Matthies mich ganz autoritär eingeteilt zu den zwei Kappelberger-Brüdern. Die (Streber)....... machen natürlich ein stinklangweiliges Referat."
"Referat - und worüber?"
"Über so einen (Theologen)....... aus den Kriegsjahren. Ich glaub, der heißt Vonhoeffer oder so ähnlich."
"Bonhoeffer, Dietrich - geboren 4. Febr. 1906 - gestorben 9.April 1945"
"Du kennst den Kerl? Dann mach Du doch für mich mit! Ich hab da keinen blassen Schimmer von!"
"Ich geh doch gar nicht in eure Klasse - aber wenn du was über Bonhoeffer wissen willst - ich hab zwei Spitzen-Bücher über ihn."
"Au Mann, Bücher über nen vertrockneten Kirchenmacker! Und sowas liest du?"
"Von wegen vertrocknet! Kirche stimmt zwar schon - aber ich kann dir sagen, als ich das eine Buch angefangen hab und kapiert hab, wie bis zum Hals der Bonhoeffer im Geheimdienst von Hitler gesteckt hat und in Wahrheit noch geheimer für den Widerstand spioniert hat! O Mann, das war obercool! Na, interessiert dich der Kerl immer noch nicht?"
"Du willst mich linken, was? Wie soll das denn gehen? Da stellt sich doch nicht einer sonntagsmorgens hin mit so nem schwarzen Umhang und labert was aus der Bibel und von Nächstenliebe und so, und nachmittags macht er mal eben auf Revolution und bastelt dem bösen Führer ne Bombe ins Auto - ne, kannste mir nicht erzählen!"
Brauchste ja nicht zu glauben. Ich kann dir morgen die Bücher mitbringen, wenn du willst! Und wenn euer oller Matthies dann euer Super-Referat nicht ins Guiness-Buch schreibt, dann will ich Otto heißen!"
"Alles klar, Mark? Referat schon abgegeben?"
"Spinn nicht rum..die beiden Kappelbergers haben noch weniger Ahnung als ich, sag ich dir. Ich hab ihnen von deinem Bonhoeffer erzählt. Die haben vielleicht Kuhaugen gemacht! Die wollten so einen frommen Schmus schreiben von ihrem heiligen Dietrich . Daß der so ein gerissener Hund war, paßte denen überhaupt nicht in den Kram."
Mensch Mark, hoffentlich hast du die jetzt nicht total verärgert. Am besten hörst du dir mal an , was Yvonne hier auf die Kassette gesprochen hat. Das sind die wichtigsten Sachen aus den Büchern über Bonhoeffer, hab ich dir ja versprochen! Und noch was: Yvonne hat mich solange genervt, bis sie auch was draufsprechen durfte von den Liebesbriefen, die der Dietrich seiner Braut aus dem Knast geschickt hat. Die findet meine Schwester eben viel aufregender als das, was der Mann so an internationalen Untergrundkontakten hatte.
"Hast du Yvonne gesagt? Her mit der Kassette!" (Schnelle Schritte)
"Leute, ich tauch jetzt für n paar Stunden unter! Wer mich stört, wird erschossen!" (Türenknallen)

"Na, dann woll wir mal! Kassette rein und -play!-"

"Hallo, Mark! Niko hat gesagt, ich soll dir bei deinem Referat helfen. Also dann:
Anfangen kannst dur mit der politischen Welt wie sie damals war:
1906 ist Dietrich Bonhoeffer geboren.Zu der Zeit hatte Kaiser Wilhelm II. alles noch fest im Griff - es war Frieden im Land und die Wirtschaft funktionierte. Im Reichstag,- so hieß das Parlament- , gab es aber damals schon Stunk, weil zuviel Geld für die Aufrüstung ausgegeben wurde, und die anderen europäischen Kolonialmächte in Afrika wollten die Deutschen nicht mehr mitspielen lassen. So kochte die Krise vor sich hin, bis 1914 ein Krieg nicht mehr zu vermeiden war.
Bonhoeffer erlebte diesen ersten Weltkrieg als Student und als junger Pfarrer . Er bekam voll mit, wie sich die bürgerlich heile Welt auflöste und ein revolutionärer Umbruch deutlich wurde.
Hinterher läßt sich gut darüber streiten, wieso denn alles so gekommen ist und warum niemand da war, der all das aufhalten konnte. Für Dietrich Bonhoeffer war die Sache klar:
Besonders an Adolf Hitler,aber auch an Wladimir Lenin konnte er erkennen, daß sie sozusagen die Prototypen der jungen Männer waren, die ein total gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater hatten. Es wurde immer mehr Mode, den Eltern die Schuld für alles Böse im Menschen zu geben und damit ja auch für alles Schlimme, was auf der Welt passierte. Die Bücher des Psychologen Siegmund Freud wurden damals gerade viel gelesen, und der fand das alles ganz normal und richtig. Bonhoeffer sah das völlig anders. Warum konnte sich der "Führer" so in die Herzen der Deutschen einschleichen? Weil die jungen Leute ihre eigenen Väter ablehnten und damit auch die Autorität Gottes. Aber im tiefsten Grund sehnten sie sich doch nach einem starken Vater, der sie beschützen und führen sollte. "
"O Mann, wenn ich das den beiden Kappelbergers (verklickern) fallen die aus den Laatschen! Mal sehen, wie ´s weitergeht, aber erst muß ich mich mal stärken. -Mutter? Wieso ist wieder keine Cola da? Salamibrot schleppst du an? Ich hab doch extra gesagt: nur gekochten Schinken, also los - schwing die Keulen!"

Werbepause

Anmoderation 2. Teil
Schüler der ( ) Klasse im Jahre 1997 - Schüler von heute - in einer Zeit der tausend Kriege weltweit, der tausend Kriege auf dem Schulhof, in der Familie - viele fliehen in eine Traumwelt - ob mit Hilfe von Drogen, oder bestimmter Musik oder mit einem Tamagotchi - das ist eine reine Geldfrage. Manche nutzen die Angst der anderen und kassieren ab, wie sie es den Erwachsenen abgeschaut haben. Können sie überhaupt ermessen, was vor mehr als fünfzig Jahren mit den Jugendlichen passierte? Begreifen sie, welchen Kampf die Menschen kämpfen mußten, die schon ahnten, was durch den Nationalsozialismus gründlich zerstört wurde? So gründlich, daß wir heute noch daran kranken. Ein Mann, der es schon mehr wußte als nur ahnte, war Dietrich Bonhoeffer. Wie es ihm erging, zeigt überdeutlich, auf welche Art die mächtigen Lügner die Wahrheit eine Zeitlang totschlagen können - aber - wie sich immer wieder zeigt - eben nur eine Zeit lang.
"Hallo, Mark! hast du noch alles behalten, was ich im ersten Teil über Bonhoeffer gesagt hab? Das Referat soll ja Spitze werden, also müßt ihr so schreiben, als wärt ihr Experten.
In Nikos Buch heißt es: Bonhoeffer war weder Volksgenosse noch Zeitgenosse. Sein Leben war ganz und gar gegen den Strom der Zeit. Das ist der Grund, warum er gelitten hat. Gegen den Nazionalsozialismus war er der Mann für internationale Verständigung.
Gegen den Führer-Anspruch Hitlers schrieb er für eine Rundfunksendung 1933 einen Aufsatz, in dem er nur den Führungsanspruch Gottes anerkannte. Gegen den Hang der Deutschen, alles Kriegerische zu verherrlichen, war er der Mann des Friedens. Gegen den Rassismus war er allemal, besonders gegen den sog. "Arierparagraphen".
Das mußt du wissen, Mark, sonst kannst du nicht verstehen, worüber sich Dietrich und seine Braut unterhalten haben, in ihren gegenseitigen Briefen. Die Briefe könnte ich immer wieder lesen, ich find sogar die Sprache schön, wie damals geredet wurde, so vornehm und gebildet, aber vor allem traumhaft lieb und romantisch. Meine Freundin Sarah liest mal ein Stück davon:
Und ich kann nicht mehr anders sprechen, als ich es in meinem Herzen in den vergangenen Wochen oft getan habe - ich möchte dich so nennen, wie ein Mann das Mädchen nennt, mit dem er durchs Leben gehen will und darf und das ihm sein Ja gesagt hat. Liebe Maria, ich danke dir für dein Wort, für alles, was du für mich durchgestanden hast und was du für mich bist und sein willst. Laß uns nun froh aneinander sein und werden. Was du an Zeit und Ruhe brauchst zur inneren Bewährung, wie du schreibst, muß du haben, ganz wie es für dich gut ist. Das weißt du allein. M i t deinem Ja kann ich nun auch ruhig warten, ohne dieses Ja war es schwer und wäre es immer schwerer geworden. Ich will dich mit nichts drängen und erschrecken, ich will dich schonen und dir das anfangende Glück unseres Lebens leicht und froh machen. Der Brief muß eiligst weg, damit du ihn morgen hast. Gott behüte dich und uns beide. Dein treuer Dietrich.
O, Mark, solche Briefe - und das von einem achtunddreißigjährigen an seine neunzehnjährige Geliebte. Dabei waren sie im ganzen nur zwei Jahre richtig verlobt und davon saß Dietrich noch die meiste Zeit in Militärgefängnissen und später im Konzentrationslager. Besuchen konnte seine Braut ihn auch nicht oft, alle Gedanken und alle Liebe füreinander mußten sie aufs Papier bringen und sich damit abfinden. Und das Tragische ist ja, daß Bonhoeffer seine Maria nie heiraten konnte, weil er in einen Nacht- und Nebelaktion wie gesagt am 9. April 1945 exekutiert wurde durch Erhängen.
Was ihm alles vorgeworfen wurde politisch, das hat Niko dir zusammengestellt.
Es geht weiter, Mark. Gleich hörst du Dietrich Bonhoeffer persönlich. Herr B., wie war das in den Jahren 33 bis 45?
1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt. Seit dieser Zeit konnte ich meinen Mund nicht halten. Es gab nämlich noch Leute, denen es Angst machte, wie die Menschen plötzlich eingeteilt wurden in lebenswerte und nicht mehr lebensberechtigte. 1940 wurde mir dann endgültig verboten, meine kirchlichen Ämter auszuführen, aber ich war offiziell als ziviler V-Mann beim MAD eingesetzt. Als Agent dieses Geheimdienstes mußte ich oft ins Ausland reisen. Ich hatte Kontakte zu vielen wichtigen Personen in ganz Europa. Es wurde mir immer klarer, daß irgendetwas unternommen werden muß gegen die Terrorherrschaft Hitlers und seiner Anhänger. Mein Schwager Hans von Dohnanyi gehörte damals schon zu einer Gruppe um Oberst Oster, die ein Widerstandszentrum gegen Hitler aufbauen wollten.
Sie konnten die Informationen, die ich aus dem Ausland mitbrachte, sehr gut gebrauchen .
Im Juni 1942 kam ich gerade aus Schweden zurück. Dort hatte ich mich mit dem Bischof von Chichester getroffen, um ihn über die konkreten Umsturzpläne in Deutschland zu informieren. Bei der Rückreise erfuhr ich in Berlin, daß die Gestapo anfing, auf meine Freunde im Amt Canaris aufmerksam zu werden.
Am 5.April 1943 wurde ich verhaftet. Ich hatte in etwa damit gerechnet. In unserer Münchener Abwehrstelle waren Mitarbeiter verhaftet worden. Eigentlich wegen einer ganz anderen Sache, aber bei den Verhören hatten sie auch verraten, was sie von den Umsturzplänen und Auslandskontakten der Berliner Zentrale wußten. Meine Schwester und ihr Mann, also die Donanyis, wurden verhaftet, ebenfalls der Kontaktmann zum Vatikan, Josef Müller und seine Frau sowie seine Sekretärin und zwangsläufig auch ich.
In der Militärhaftanstalt Berlin-Tegel durfte mich in der ersten Zeit keiner besuchen, nur alle zehn Tage wurde mir erlaubt, einen Brief an meine Eltern zu schreiben. Wie es in der Haftanstalt wirklich zuging, das konnte ich auf keinen Fall schreiben, jeder Brief wurde geöffnet und zensiert. An Maria durfte ich gar nicht schreiben, sie mußte warten, bis meine Eltern ihr eine Abschrift meiner Briefe zuschickten.
Erst Ende Juli 1943 wurde mir mitgeteilt, daß Anklage erhoben wäre und ich sollte mich um einen Anwalt bemühen. Am 21. Sept. bekam ich die Anklageschrift. Darin wurde ich -ich sage: nur - der Wehrkraftzersetzung beschuldigt, aber nicht mehr wegen Landesverrat.
Bis zum 20. Juli 1944 hatte ich immer noch Hoffnung, aus der Militärhaft entlassen zu werden, Maria zu heiraten und eine ganz normale Familie zu gründen. Das mißglückte Attentat auf Hitler veränderte die Lage aber total. Das Militärgericht wurde sozusagen abgesetzt, nur noch die SS hatte das Sagen. Sie bildete sofort eine Sonderkommission 20. Juli. Insgesamt 400 Kriminalpolizisten und Gestapo-Leute suchten die Beteiligten und Mitwisser am Attentat. Am 8. Oktober 44 brachte mich ein Gestapo-Kommando in das Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes. Das Wichtigste, das sie gegen mich in der Hand hatten, war meine Verbindung zu dem Bischof von Chichester. Nach dem schrecklichen Januar, als die Rote Armee im Osten einmarschierte und der Flüchtlingsstrom in den Westen zog, habe ich Maria nicht mehr wiedergesehen. Am 3. Februar war der schwerste Luftangriff auf das Berliner Stadtzentrum. Wir Kellergefangenen wurden in die Nähe von Buchenwald verlegt und am 3. April nach Schönberg im Bayrischen Wald. Obwohl im Land bereits das große Chaos herrschte und das Ende des Deutschen Reichs voll sichtbar war, funktionierte immer noch der Apparat der SS. Am 8. April wurde ich aufgerufen: Gefangener Bonhoeffer! Fertigmachen und mitkommen!"
Mir sagte man nicht, was vorgefallen war, aber es waren Tagebücher entdeckt worden von General Canaris, in denen genau beschrieben war, wer und wie im Widerstand mitgearbeitet hatte. Von dem Schulgebäude in Schönberg wurde ich ins KZ Flossenbürg gebracht. Noch am selben Tag kam ich vor ein Standgericht, ebenso meine Freunde Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Hans Oster, Karl Sack und Theodor Strünck. Wir hörten das Urteil: Tod durch Erhängen. Es wurde am nächsten Tag, dem 9. April 45 vollstreckt.
Ganz schön hart, was der Niko da rausgesucht hat! Wenn das alles stimmt, möcht ich nicht Bonhoeffer heißen. Wie wohl seine (Tussi) damit fertig geworden ist? Würd mich echt interessieren.
Lieber Mark, mein netter Bruder interessiert sich bloß für den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Aber ich lese lieber seine Liebesbriefe an Maria von Wedemeyer, seine Braut. Hab ich eigentlich schon gesagt, daß sie erst 19 war, als sie sich verlobten, und er schon 38? Wenn du die Briefe alle lesen würdest - so was schreibt heute kein Mann mehr, schade. Im April 44 hat Maria ihren Verlobten verzweifelt gesucht, weil sie keine Post mehr bekam und er von einem Gefängnisort zum anderen verlegt wurde. Ihre Mutter und die kleineren Geschwister konnten im Januar 45 über die zugefrorene Oder Richtung Westen fliehen. Ihr Vater und zwei ihrer Brüder waren gefallen. Maria und ein paar Dorfbewohner zogen in letzter Minute los, als die Russen bereits das Dorf verwüsteten.
Die schönste Stelle in all ihren Briefen an den lieben, geliebten Dietrich finde ich die vom 5.April 1943, der Tag an dem Bonhoeffer verhaftet wurde und die beiden erst ganz kurz verlobt waren. Da schreibt sie ihm: Ich habe einen Kreidestrich um mein Bett gezogen etwa in der Größe deiner Zelle. Ein Tisch und ein Stuhl steht da, so wie ich es mir vorstelle. Und wenn ich da sitze, glaube ich schon beinahe, ich wäre bei dir..!
Dann gibt es noch einen Schlußkommentar:
Über die räumliche Trennung hinweg, trotz Briefzensur, trotz der Unterschiede von Alter und Herkunft, entwickelt sich eine tiefe Liebe. Beide wachsen über sich hinaus und treten in eine höhere Form von Verantwortung ein. Die Nachricht von Dietrichs Tod erreicht Maria erst im Sommer 1945.
Im Jahre 1948 geht sie in die USA und lebt dort bis zu ihrem Tod 1977. Zuletzt war sie Leiterin der Entwicklungsabteilung für Computer bei der Firma Honeywell in Boston.
Also Mark, das war zwar nicht Dietrich Bonhoeffer persönlich, aber ich denke mal, daß er ohne seine Maria auch die Zeit im Gefängnis nicht so durchgestanden hätte.
Für euer Referat weiß ich noch einen tollen Schluß:
Der Theologe Dietrich Bonhoeffer fand eine Sache besonders abartig, nämlich, wenn jemand triefend fromm über Gott laberte als wäre das sein Stammtischbruder. Und noch was hat er ziemlich früh herausgefunden: Wenn sich eine Diktatur und ihr heldenartiger Führer noch so zackig aufführt - es bleibt immer eine Form von Unordnung, die am Schluß Menschen zerstört. Wo die guten Ordnungen Gottes vom Tisch gewischt werden, fangen schreckliche Zeiten an.