Bio - logisch
"O Fritz! Wenn wir bei Euch zu Besuch sind, das ist immer wieder wie ein Tag Urlaub auf dem Lande!" Die junge Schwägerin von besagtem Fritz stand an der großen, gläsernen Schiebetür zum Garten hin und sog genüßlich den Duft der Lindenblüten in die Nase. Ja, ihre Schwester hatte es wunderbar getroffen!
Die schmucken Häuschen dieser Stadtrandsiedlung lagen eingebettet in recht ansehnliche Gartenflächen, die von jedem der Bewohner individuell genutzt wurden. Gepflegte Rasenstücke wechselten mit vornehmen Blumenanlagen und den hellgrünen Perlenschnüren der Gemüserabatte. Es war ein Anblick, auf den die Bezeichnung Augenweide durchaus zutraf!
Auch Schwager Fritz hatte ein Teil seines Grundstücks schon seit Jahren mit viel Liebe und Schweiß zu einem Nutzgarten kultiviert. Einen Garten zu bewirtschaften fand er anfangs für ein Kinderspiel - hatte er doch bei seinem Vater oft genug daneben gestanden, wenn umgegraben und gejätet wurde. Nur - sein Vater kannte damals weder Paprika noch Zucchini, und so mußte Fritz sein Wissen wohl oder übel auf andere Weise erweitern. Außerdem war auch an ihm die umweltbewußte Strömung nicht vorübergegangen. Er informierte sich darum recht gründlich über alles, was biologische Düngung und Schädlingsbekämpfung anging. Die einzelnen Maßnahmen regelmäßig durchzuhalten und zu koordinieren - das war ihm aber zu anstrengend. So blieben die Erträge seines Eigenbaus leider nur dürftig.
Eines Tages war er so unvorsichtig gewesen, Prospekte mehrerer Spezialfirmen anzufordern.
Seitdem ergoß sich in seinen Briefkasten eine Flut herrlich bunter, wortreicher Blätter, die ihm alle helfen wollten, seine Gartenprobleme - und seinen Geldbeutel - zu erleichtern.
Beim Gang zum Briefkasten war ihm vor längerer Zeit sein direkter Nachbar begegnet. Sie hatten ein kurzes Gespräch über Reklame im allgemeinen und Gartenartikel im besonderen geführt. Herr Becker-Fürbring wußte da viel besser und gründlicher Bescheid als Fritz. Seitdem ergab es sich öfter, daß der Nachbar eben zur gleichen Zeit Unkraut aus seinen Beeten zupfte, wenn auf dieser Seite des Zauns beispielsweise die Erde gelockert wurde. Fritz hatte nun den perfekten Gärtner an seiner Seite. Er brauchte fürderhin weder Bücher noch Gebrauchsanweisungen zu lesen; er erfuhr alles aus erster Hand und berufenem Munde.
Mehrfach betonte Herr Becker-Fürbring mit immer demselben stolz-bescheidenen Lachen, daß er wohl mit dem berühmten grünen Daumen geboren worden sei. Er konnte ein ganzes Telefonbuch an Namen von Verwandten und Bekannten nennen, deren Freizeit-Landwirtschaften nur mickrige Ernten brachten, weil sie seine fachmännischen Tips nicht beachtet hatten.
Fritz bekam detaillierte Vorlesungen über die Wirkungsweise von Insektiziden jeder Art und Firma frei Haus mit dem drängenden Unterton in Herrn Becker-Fürbrings Stimme, sich doch endlich seinen unfehlbaren Methoden voll anzuschließen. Aber Fritz konnte sich einfach nicht recht vorstellen, daß alle die kleinen Biester mit den unaussprechlichen Namen sich tatsächlich in seine Gurkenbeete verirren sollten! Und die Gurken waren in diesem Frühjahr denn auch das Hauptthema hin und her über den Zaun.
"Sie werden sehen: wenn ich ab morgen diese Lösung in mein Gießwasser gebe, bekomme ich eine Gurkenernte, mit der ich die gesamte Siedlung versorgen kann! Ich kenne mich in der Dosierung aus! Was auf dem Etikett beschrieben ist, daran störe ich mich nicht!"
Zaghaft versuchte Fritz einen ihm wichtigen Einwand unterzubringen:"Haben Sie denn schon mal an die Folgen Ihrer Chemieliebe gedacht, Herr Becker-Fürbring? Ich meine - die Vögel fressen doch auch mit an unserem Tisch, sozusagen, und wenn es nur die vergifteten Schnecken sind, von denen die hübschen, kleinen Sänger gar nicht wissen, daß es ihr eigener Tod ist, den sie da von den Blättern absuchen!"
"Was Sie sich für Sorgen machen, mein Lieber! Schließlich möchte ich vernünftige Gurken auf dem Tisch haben und nicht irgendwelche verschrumpelten Bio-Würstchen, wie sie wahrscheinlich bei Ihnen unter den Blättern versteckt sind! Hören Sie auf mich, sonst hat das alles keinen Sinn und Sie betonieren Ihre Beete besser zu!"
Sein Lachen klang Fritz nun doch etwas boshaft in den Ohren. Es bildete sich in seinem Innern ein Wurm, der ab und zu klopfte wie ein Holzwurm in morschem Gebälk. Das Wetter in den Tagen darauf war für Gurken ideal: feucht und warm; die Ernte in Nachbars Garten rückte näher.
Freitag abend stellte Fritz sein Auto in die Garage. Seine Frau schaute erstaunt auf, als er statt über den Weg durchs Vorgartentor diesmal durch den Keller ins Haus kam und das mit einem flachen, ziemlich großen Karton unter dem Arm.
"Was gibt das denn, wenn es fertig ist?" meinte sie neugierig. Fritz legte ihr den Finger auf den Mund,
stellte den Karton auf den Tisch und hob den Deckel.
"Bist Du noch normal?" platzte es aus Fritzens Frau heraus. Mit spitzen Fingern nahm sie eins von den länglichen, glatten, dunkelfarbenen Dingern heraus. Das Gesicht ihres Mannes ließ aber nicht darauf
schließen, daß es sich um eine nervenarztreife Tat handelte. So wartete sie gespannt auf seine Erklärung. Als er damit halb fertig war, wollte sie spontan einen Schrei ausstoßen, was ihr Mann in letzter Sekunde verhindern konnte.
Den Rest des Freitags liefen beide mit Verschwörergesichtern umher und grüßten besonders freundlich über den Gartenzaun zu Becker-Fürbrings hinüber, während sie an den schneeweißen Gartenmöbeln Kaffee tranken.
Auch an diesem Freitag im Sommer wurde es irgendwann dunkel; so nahm das Geschehen seinen geheimnisvollen Verlauf. Der Samstag begann mit strahlendem Sonnenschein. Nach einem ausgiebigen Frühstück fühlten Fritz und seine Frau sich in der Lage, die Sache zuende zu führen. Herr Becker-Fürbring war bereits voll in Aktion. In seiner modern geschnittenen, grünen Gartenschürze bückte er sich wieder und wieder zwischen die großen Blätter. Eine Gurke nach der anderen wanderte in den formschönen Korb. Wahrheitsgemäß müßte es eigentlich heißen: hier ein Gürkchen - und siehe da! noch ein Gürkchen, denn die Stücke seiner "stolzen" Ernte hatten gut und gern in einer Handfläche Platz.
Fritz erschien auf der Bildfläche, ebenfalls einen Korb am Arm und ein Messer in der Hand. Es wurde ein kurzer Gruß gewechselt. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Fritz genau beobachten, wie sein Nachbar zu ihm herüberschielte. Welche regenwurmgroßen Gurken
würden wohl in seinem Korb landen?
In aller Ruhe nahm Fritz das Messer und schnitt unter den Blättern - wie es aussah, mit Mühe, einen Stengel durch. Dann förderte er demonstrativ eine Gurke zutage, bei deren Anblick Herr Becker-Fürbring sich plötzlich fest an den Stamm seines Fliederbaumes klammern mußte. Er hätte sich gerne die Augen gerieben,ob er eventuell träume, aber das wäre zu sehr aufgefallen. So stand er nur wie vom Donner gerührt da und sah mit leicht geöffnetem Mund zu, wie Fritz Gurke um Gurke von stattlicher Größe in seinen Korb sammelte. Nach der zehnten richtete er sich auf, sah gelassen über den Zaun und meinte so nebenbei: "So, die anderen sind mir noch zu klein. Vielleicht ziehen die noch etwas nach."
Seit diesem Samstag kommt es oft vor, daß Herr Becker-Fürbring sich auf den Griff seiner Hacke stützt und zu Fritz hinüber ruft: "Sagen Sie, ich komme mit meinen Erdbeeren nicht recht weiter. Hätten Sie einen Tip, wie ich den Boden ein wenig aufbessern kann?"