Ärzte und Krankheiten - wenn es das Wetter nicht gäbe, würden
sich die Leute eben noch mehr über dieses unerschöpfliche Thema
unterhalten. Früher dachte ich immer, nur Frauen reden viel und lange
über ihre Wehwehchen. Also, vielleicht kämen die Männer
statistisch etwas besser weg, ganz außen vor sind sie mit Sicherheit
nicht. Das Schöne an dieser Unterhaltung ist, finde ich, daß
plötzlich die wildfremdesten Menschen mit den unbekanntesten
Zufallszusammentreffenden ohne Scheu über ihre intimsten Schwachstellen
reden. " Ja, die Blase, da kann ich Ihnen was erzählen. Monatelang hab ich
mich damit herumgeschleppt und die unbequemen Binden getragen. Aber dann hat
mein Mann gesagt: Mach, daß Du zum Arzt kommst, Du nervst mich mit Deiner
Inkompetenz, oder wie das heißt! Und was soll ich Ihnen sagen, der
Urologe guckte mich nur an und strahlte: das kriegen wir schnell in den
Griff!"
Wenn der Angesprochene nur verständnisvoll nickt und ansonsten in seiner
Tasche angestrengt nach etwas Wichtigem sucht, kann das nur einer der
notorisch Gesunden sein, denen anderleuts Schmerzen gleichgültig sind.
Solche Leute sind mit Vorsicht zu genießen, da sucht sich die Geplagte am
besten eine andere Zuhörerin oder -hörer.
In den letzten Jahren ist mir sehr aufgefallen, daß die Wunderärzte
ausgestorben sind.
Wenn meine Tanten von ihren Besuchen bei Doktor Breit oder Doktor Hoch
erzählten, gab es für sie keinen Arzt auf der Welt, der sein Metier
besser verstanden hätte. Er brauchte seine Patienten nur zehn Minuten
ununterbrochen reden zu lassen. Die Medizin, die er dann auf ein Kassenrezept
ohne Zuzahlung verschrieb, war haargenau die richtige für jeden Kranken
und jede Krankheitsstufe. Ihre Hausärzte konnten die Damen nur
wärmstens jedem empfehlen und ließen nichts auf sie kommen.
Wie gesagt: in letzter Zeit horche ich vergeblich in Krankengeschichten
hinein. Wo sind die Wunderdoktoren abgeblieben ? Die Ärzte kommen in den
Gesprächen sehr schlecht weg. "Zu Doktor Spitzener hat man Sie geschickt?
Ich bitte Sie! Der soll Experte für Herzgeschichten sein? Ich war einmal
bei ihm - nie mehr wieder! Wieso? Es folgt eine abendfüllende Story, in
zwei Sätzen ging sie so: Frau Nervös hatte Schmerzen im Herzbereich.
Ein EKG war angebracht. Eine Stunde Ruhe im Wartezimmer zwischen
Bazillenmutterschiffen und quengeligen Kindern und dann auf die Liege. Der
Papierstreifen
mit dem EKG zeigte ein hübsches Muster. Es ist nichts, Frau Nervös,
Sie können beruhigt sein! Der nächste Arzt beim nächsten
Schmerzanfall von Frau Nervös hatte eine Verengung der
Herzkranzgefäße gefunden! Aber auch diesen Doktor wird sie wohl
nicht wieder aufsuchen, er hat sie als erstes auf ihr Übergewicht
angesprochen, und da ist Frau Nervös empfindlich. Solche Fauxpas macht ein
richtiger Arzt eben nicht.
Ich kenne niemanden, der in diesen interessanten Gesprächsstoff nicht
sofort mit einsteigen könnte. Es gibt ja soviel Körperteile und
soviel Spezialärzte, und noch viel mehr Krankenhausärzte
zuzüglich Pflegepersonal! "Stellen Sie sich vor, ich bekam mal ein
Medikament -wogegen das war, weiß ich nicht mehr- und zusätzlich
legte der Arzt mir dringend ans Herz, abzuspecken. In den Tagen darauf
hätte ich von morgens bis abends essen können, ich wurde einfach
nicht satt. Beim nächsten Termin fragte ich: Ist das psychologisch, Herr
Doktor? Er ließ sich meine Karteikarte geben und kratzte sich mit dem
Brillenbügel am Ohr. "Na ja, in dem Medikament, das sie jetzt einnehmen,
ist unter anderem eine appetitanregende Substanz drin. Vielleicht wechseln wir
doch besser!"
Das erzähle ich immer wieder gern, wenn Leute mich erstaunt fragen, warum
ich keinen angestammten Hausarzt habe.
Hier und da weiß einer ein altes Hausmittel. "Sie husten nicht schlecht,
nehmen Sie doch Kalmus, das ist immer noch das Beste dagegen!"
Mißtrauisch lese ich im Kräuterbuch nach: Kalmus, Sumpfpflanze,
Wurzel gibt ein wirksames Mittel gegen Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden.
Na, Mahlzeit!
Wo sind nur die Kräuterfrauen geblieben? Es gibt tausend Bücher, in
denen Naturheilmittel mal mehr, mal weniger detailgetreu beschrieben
werden, aber in keinem Buch steht, ob Beifuß oder Majoran bei mir, Frau
von einer Menge Jahren, nicht gerade dünn, blond und unsportlich, auch
wirklich anschlägt, wenn ich den mühsam bereiteten Tee mal nicht so
regelmäßig trinke, wie es da vorgeschrieben ist. Könnte ich zu
einer Kräuterfrau gehen und ihr meine Hustenanfälle
vorführen,hätte ich Hoffnung, daß sie mir das richtige Kraut in
der richtigen Menge einpackt. Wenn sie mir dann noch verrät, wieviel ich
versäumen darf, um noch eine heilende Wirkung zu spüren, würde
ich ihr auch glauben, daß ihr Wissen nicht von den Eingebungen durch ihre
tote Mutter stammt, sondern aus profunden Kenntnissen über
Heilpflanzen.
Aber die Kräuterfrauen wurden leider verbrannt vor langer Zeit,
wahrscheinlich weil sie ihre Ware und ihre Hilfe unter Preis verkauften. Wie
sonst hätte es heutigentags Platz gegeben für solch ein
unterhaltsames Spielchen wie die Gesundheitsreform?
Was mich wundert, ist, daß an diesem Karussell auch Frauen mitdrehen,
nicht bloß Männer. Ob es unter ihnen welche gibt, die schon am Bett
ihres fiebernden Kindes gesessen und sich sehnlich gewünscht haben, es
käme eine gute Oma vorbei, die noch weiß, wie man Wadenwickel macht
oder Fliedertee kocht, ohne der besorgten Mutter ersteinmal den Beipackzettel
unter die Nase zu halten? Apropo ... ach, ich rede lieber nicht von diesen
sperrigen Papierblättern, die solange in der kleinen Schachtel der
Arzneimittel lästig sind, bis ich sie endlich fortwerfe. Und am
nächsten Tag kommt meine Tochter, sieht die Flasche und meint so nebenbei:
"Du nimmst Hustimedi? Hast Du nicht gelesen, daß das Gift ist für
Leberkranke ?"
Haben Sie auf die Uhr gesehen ? solange läßt sich über dieses
Thema reden und Sie sind noch gar nicht zu Wort gekommen mit Ihrer eigenen
Krankengeschichte! Na, vielleicht das nächste Mal ! Jetzt muß ich
mich beeilen, ich hab um drei Uhr einen Termin beim Zahnarzt!