Ursula Hellmann Scharweg 6, 42799 Leichlingen
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Kurzandacht Nr.
Titelvorschlag: "Reizwort" Dienen
Wo man hinschaut, sind Leute "im Dienst" - Staatsmänner, Polizisten, Briefträger, Oberärzte, und so fort. Mit und ohne Uniformen, männlich oder weiblich - sind sie sich ihrer Wichtigkeit bewußt. Sie nutzen ihre Privilegien und grenzen sich gerne ab von der Masse derer, die sie zu "beaufsichtigen" haben. Warum ihre Stellung "Dienst" genannt wird, können die meisten sicher gar nicht genau definieren.
Und was ist nun "Dienst" -das ja schließlich von "dienen" kommt? Auch der Begriff "bedienen" gehört ja wohl dazu, aber von einem Kellner sagt niemand: er ist im Dienst!
Ich überlegte so vor mich hin: Wer dient denn nun wem und wie? Dabei stand mir plötzlich eine Szene vor Augen. Drei Frauen kommen darin vor- und der Tag, wo die Sache sich abspielte, ist schon viele Jahre her.
In einer bergischen Großstadt, an einem Dienstagvormittag -es war tatsächlich ein "Dienstag"! - sitzt eine alte Dame - ich nenne sie Alma - im Schlafzimmer ihrer Freundin auf deren Bettkante. Sie zieht der Freundin Gertrud- einer verkrüppelten Frau - die Wollstrümpfe über die mageren Beine, biegt ihr vorsichtig den zu kurzen Arm in den Kleidärmel und richtet ihr dann - wie schon seit 23 jahren jeden Dienstagmorgen - die dünnen, langen Haare zu einem Knoten am Hinterkopf. Gertrud jammert und stöhnt derweil, sie beschimpft die Ungeschicklichkeit der helfenden Hände und verflucht ihren kranken, häßlichen Körper. Alles ist wie immer seit fast 1300 Dienstagen. Die beiden Frauen gehen nun im Zeitlupentempo zum Haus hinaus, einige Straßen weiter, in Almas Wohnung. Dort sitzt die kleinwüchsige Besucherin den ganzen Tag über am Fenster. Sie läßt sich verwöhnen mit ihren Lieblingsspeisen. Ihre schrille Stimme kommandiert Alma vom Herd zum Schrank. Dafür kassiert sie ein Lächeln, aus dem mehr Liebe strahlt, als die Nörglerin jemals verbrauchen kann.
Das Gespräch der beiden dreht sich noch lange um Frau Müller, die einmal in der Woche in Gertruds Wohnung saubermacht. Eigentlich kommt sie freitags, aber sie war erkältet gewesen und darum an dem bewußten Dienstag noch mit dem Fensterputzen beschäftigt, als Alma ihre Freundin Gertrud abholen kam. Alma hatte also einen Teil des scharfen Disputs zwischen Gertrud und Frau Müller noch mitangehört. Eine Weile hatte sie sich aus dem Streit herausgehalten, aber dann war sie doch mit hineingeraten. Dabei hatte sie nur wie beiläufig gesagt: "Ja, für manche ist es schwer zu ertragen, sich von anderen dienen zu lassen!"
Aufeinmal hatte sie beide Frauen gegen sich. "Dienen! So ein Quatsch! tönte Frau Müller! Ich krieg die Stunde 5,-- und wenn ich die nicht so nötig brauchen würde, könnte ihre Gertrud in ihrem eigenen Dreck verkommen, das würd mich gar nicht stören! Dienen! Verdienen - das ist muß ich!"
Alma hatte nicht so schnell aufgegeben. "Frau Müller, tun Sie denn ihre Arbeit nicht aus Liebe zu Ihrem Dienstherrn?" Die Frau hatte sich zuerst ausschütten wollen vor Lachen, dann aber energisch protestiert: Was geht Sie denn mein Privatleben an?
Alma hatte sich nicht entmutigen lassen. Sie hatte den Namen Jesus Christus erwähnt - ihren eigene Dienstherrn.Und sie hatte versucht, ganz einfach zu formulieren, welch großen und unverzichtbaren Dienst dieser Herr für sie getan hat. "Weißt du, Gertrud," sagte sie zu ihrer Freundin, ich hätte ich so gerne die Sache mit Petrus und den anderen Jüngern beim letzten Abendmahl mit Jesus erzählt, du weißt doch, als der Herr seinen Freunden eigenhändig die Füße gewaschen hat, als wäre er der allergeringste Diener im Hause. Aber Frau Müller hat mich nicht ausreden lassen, und ich hab den Faden verloren - ja, ja, paß auf, wenn du erst mal 78 bist, wie ich, dann kommt so was vor."
"Du bist ein Rindvieh, Alma! Frau Müller soll meine Wohnung putzen und nicht auf deine frommen Sprüche hören! Schlimm genug, daß du mich so oft damit nervst!"
Alma streicht Gertrud übers Haar."Weißt du, Liebes, vierzig Jahre Diakonisse sein und dann zehn Jahre unsre Mutter pflegen, das hab ich nur gekonnt, weil ich so froh bin über den großen Dienst Christi für mich, daß er für mich starb und alles geregelt hat, was zwischen Gott und mir nicht in Ordnung war. Soll ich dir noch eine Birne schälen?"
Die Szene wäre mir nicht so außergewöhnlich vorgekommen, wenn dieses Gespräch eins der ersten seiner Art gewesen wäre. Aber ich wußte ja, daß in den 23 Jahren der Bekanntschaft von Alma und Gertrud unzählige Male das gleiche Thema im Raum stand. Und nach all diesen Jahren - immer noch die gleiche liebevolle Art Almas zu antworten, wenn sie gefragt wurde und zu schweigen, wenn Gertrud ihr das Wort abschnitt.
Diesen Dienstag-Vormittag möchte ich nie vergessen. Und auch nicht den Satz, den mir Alma einmal sagte, als ich mit ziemlichem Zorn im Herzen ihr mein Problem schilderte.
Sie sagte: Der unterste Weg ist immer frei! Sie war mir selbst der lebende Beweis dafür.
Und sie hätte es auch weit von sich gewiesen, wenn einer das Wort "dienen" glechgesetzt hätte mit "Verzicht" "Askese" "verletztem Stolz" oder ähnlichen Begriffen. Sie war fröhlicher, ausgeglichener und zufriedener als die meisten Menschen, die sich "Dienen" nur mit der Vorsilbe "ver" vorstellen können.
Ich bin heute noch froh, sie gekannt zu haben, von ihr gelernt zu haben. D e r Herr, der sich nicht gescheut hat, selbst den schwersten Dienst auf sich zu nehmen - zu leiden, zu sterben und die Abkehr Gottes von ihm als der personifizierten Sünde zu ertragen - er ist der einzige, dem auch das stolzeste Herz gerne dient - wenn es diesen, seinen Dienst an sich geschehen ließ.