Alle eure Sorge werft auf ihn!
In meinem Zimmer steht ein ganz besonderer Papierkorb. Was ihn von anderen Papierkörben unterscheidet, ist das Pappschild mit der Aufschrift J.Ch. für Jesus Christus. Er trägt das Schild schon fast ein Jahr. In dem Korb liegen eine Menge zerknüllter Zettel. Ich bilde mir ein, im Laufe der Zeit recht gut geworden zu sein im Zielen auf diesen Abfallbehälter. Vom Tisch aus bis zu seinem Standplatz sind es immerhin fast drei Meter.
Zu dieser Art Zettelartistik kam ich leider durch eine traurige Nachricht. Eines Tages saß ich an besagtem Tisch und weinte. Ich hatte schlecht geschlafen, und auch den ganzen Vormittag quälte mich die Angst um eine gute Freundin. Bei ihr war ein Gehirntumor festgestellt worden, bösartig und nicht zu operieren. Was würde mit ihren drei kleinen Kindern geschehen, wenn...? Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Die aufgeschlagene Bibel wunderte sich nicht über die Tropfen, die sie feucht machten. Es war nicht das erste Mal. Und was stand dort, im 5. Kapitel des 1. Petrusbriefes? ´Álle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!´
Áuf ihn - damit war natürlich Jesus gemeint. Werfen sollen wir die Sorgen, wegwerfen? Wie kann ich etwas werfen, daß ich gar nicht in der Hand habe? Und überhaupt - in welche Richtung? Sicher nicht nach oben in Richtung des sogenannten Himmels. Von da kommt alles unweigerlich zurück. Ich saß und dachte: Wie bekomme ich die Sorge um meine Freundin so in den Griff, daß ich sie auf Jesus werfen kann?
In meiner Reichweite gibt es immer unbeschriebene Blätter und Schreibzeug. Bald waren auf dem Papier eine Reihe Wörter, von denen ich hoffte, sie würden Ordnung in mein aufgewühltes Inneres bringen. Das Wort ´Mitleid´ zum Beispiel- und auch: Angst vor dem Gespräch mit der Familie der Frau, Ohnmacht, Suche nach Trost - die Liste wurde lang. Die Wörter standen vor meinen Augen wie Betonklötze. Keinen konnte ich auch nur einen Zentimeter bewegen.
Ich nahm den Zettel in die Hand und knüllte ihn langsam fest und fester zusammen. Er lag auf meiner Handfläche. Ein niedlicher, etwas unförmiger Ball. "Herr, Du siehst dieses schicksalsschwere Stück Papier und weißt, ich will damit nicht scherzen. Ich werfe diese Sorge jetzt auf Dich, so wie in den Papierkorb dort in der
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Ecke. Ich will ihn weder hinter mich werfen, noch auf irgendetwas, wo er nicht hingehört."
Bei diesem ersten Wurf traf ich genau in den damals noch unbeschrifteten Papierkorb hinein.
Die Sorge um meine kranke Freundin stand noch auf einigen Zetteln, die ebenfalls in diesem Korb gelandet sind. Der wahre Adressat Jesus Christus hat diesen Fall in seine Obhut genommen, wenn auch in einer Weise, zu der ich nur Amen sagen kann. Meine Freundin starb ein halbes Jahr später im Alter von 33 Jahren. Ihre drei Kinder bekamen nach kurzer Zeit wieder eine liebe Mutter.
Seit mein Papierkorb mir so hilfreich geworden ist, mußte ich öfter darüber nachdenken, welche Arten von Sorgen es gibt.
Sorgen, die mir das Herz abdrücken, die mich Tag und Nacht umtreiben, weil lange Zeit keine Änderung in Sicht ist - über die kann ich nicht mit einem Federstrich hinwegkommen, auch wenn ich sie mehrmals auf meine Sorgenzettel geschrieben habe und mit Schwung in den Papierkorb befördere. Und doch ist mir danach wohler zumute und es fällt mir leichter, Gott zu vertrauen.
Wirklich existentielle Sorgen sind wie entsicherte Handgranaten. Vor vielen Jahren haben wir davor gezittert, daß wir unser Zuhause verlieren könnten. Banken scheren sich normalerweise nicht darum, wie ihre Schuldner weiterleben, wenn nur ihre Forderungen erfüllt werden. Damals zerriß uns die Sorge alle Hoffnung und alle Freude am Leben, weil wir sie nicht rechtzeitig von uns geworfen hatten auf den einzigen Entsorger, der helfen kann. Trotzdem wurden wir vor dem Ruin bewahrt und erlebten mehrere Wunder auf einmal.
Sorgen, auch kleine, alltägliche sind ziemlich lästig. So lästig wie Kaugummi, das man nicht loswird: -zigmal durchgekaut, klebe ich sie -bildlich gesprochen- unter die Tischplatte. Ehe ich mich versehe, pappen sie wieder irgendwo an mir. Das sind Sorgen von der Art wie: schaffe ich heute alles, was ich mir vorgenommen habe? Komme ich rechtzeitig zum Frisör? Diese oder ähnliche anhängliche Gedanken befördere ich, meist nur symbolisch, ebenfalls in den Papierkorb.
Ich kenne eine Frau, die spielt mit ihren Sorgen wie mit bunten Bällen. Jede Nachbarin soll ihre Probleme bewundern und den Mut, mit dem sie die Schwierigkeiten meistert. Sie wirft ihre Sorgen sozusagen gegen die Wand und fängt sie wieder auf, damit sie am nächsten Tag noch etwas zu beklagen und zu erzählen hat.
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Ob sie diese leichten, gut zu jonglierenden Sorgen deshalb nicht
abgeben will, weil sie inzwischen mit ihnen umgehen kann ohne innere Anteilnahme? Vielleicht hat sie auch nur Angst, daß, wenn sie diese vertrauten Sorgen endlich ablegen würde, ihr neue, schwerere auferlegt werden könnten. Das Schlimme ist: sie kennt das Angebot Gottes gar nicht, was ihre Sorgen betrifft.
Alle eure Sorge werft auf Ihn! Alle Sorten von Sorge! Welch eine Sache!
Bald ist mein Papierkorb voll, dann werde ich ihn ausleeren. Ich schwanke noch, ob ich die Zettel vorher auseinanderfalten soll, um zu erfahren, welche Sorgen mir Mühe machten und wie sie sich erledigt haben. Viel Grund zu Dankbarkeit würde das sicher bringen. Aber es sind auch Dinge darunter, von denen ich weiß, daß die Lösung noch aussteht, die noch auf der Warteliste stehen.
Darum geht der gesamte Inhalt demnächst ins Feuer, und ich sehe zu, wie sich alle meine Sorgenzettel in Wärme und Licht auflösen!

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